„Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben“ diese Worte Jesu, niedergeschrieben
von Johannes in seinem Evangelium, hat mich für die Predigt auf die Idee gebracht, zunächst grundsätzlich nachzudenken über ICH BIN.
Ja, wer bin ich denn. Hat Sie, hat Dich das schon mal jemand gefragt: Wer sind Sie denn? Wer bist du denn? – Haben Sie sich das schon mal selbst gefragt? Wer bin ich?
Vielleicht beim Blick in den Spiegel. Vielleicht bei einer Begegnung mit einem andern Menschen? – Wie sieht die Antwort aus?
Ich möchte mich der Antwort in vier Schritten nähern.
Sehr unterschiedlich die 4 Teile – Doch sie hängen inhaltlich zusammen.
ICH BIN – Zum ersten
Die Geschichte vom kleinen „Ich bin ich“ von Mira Lobe, / der österreichischen
Kinderbuchautorin:
Auf der bunten Blumenwiese geht ein buntes Tier spazieren.
Wandert zwischen grünen Halmen, wandert zwischen Schierlingspalmen
Freut sich, dass die Vögel singen, freut sich an den Schmetterlingen.
Freut sich, dass sich’s freuen kann
Aber dann
Aber dann stört ein Laubfrosch seine Ruh
und fragt das Tier: „Wer bist denn du?“
Da steht es und stutz, und guckt ganz verdutzt
dem Frosch ins Gesicht: „Das weiß ich nicht.“
Der Laubfrosch quakt und fragt: „Nanu
Ein namenloses Tier bist du?
Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist,
der ist dumm. Bumm!“ Tja!
So ganz anders der kleine Bub, als der gefragt wurde:
„Wer bist na du?“ – „I, i bin da Bua von meim Papa“
Na, das ist doch schon was.
Und wenn wir einen Erwachsenen nach seiner Identität fragen, wer er denn sei,
dann nennt er vielleicht seinen Namen, die Adresse, die Telefon Nummer,
die E-Mail Adresse, seinen Beruf, seine Familie usw…
Doch was sagt das schon, wenn wir diese Daten einem anderen mitteilen.
Vielleicht bin ich mehr, als ich scheine, oder auch, ich scheine mehr, als ich bin,
ich scheine stärker, gelassener, unangefochtener zu sein, als ich wirklich bin.
ICH BIN Zum zweiten
Wer bist du? – Gehen wir mit dieser Frage ca. 3000 Jahre zurück, zu Mose, der aus
der Bibel, ein Schäfer.
Der hütete Schafe und Ziegen, am Fuß des Berges Sinai. Und da, da sah er eine
Flamme, die in der Mitte eines Busches brannte. Und er schaut genauer, und sieht:
Der Busch brennt, aber er verbrennt nicht. Und er geht hin zu dem Busch, um
zu sehen, was da los ist, und plötzlich hört er eine Stimme: „Halt, komm nicht näher.
Du bist an einem heiligen Ort. Zieh deine Sandalen aus. ich bin der Gott deiner
Vorfahren.“
Und Mose zieht seine Sandalen aus, bedeckt in Ehrfurcht sein Gesicht und fragt:
„Wer bist du, Wie heißt du?“ Und aus dem brennenden Dornbusch heraus hört er die
Stimme: „Ähjäh, ascher ähjäh“ Ich bin, der ich bin. Ich werde sein, der ich sein
werde. Und Ehrfurcht erfüllte die ganze Wüste.
Nicht lange darauf bekommt Mose von Gott den Befehl, das Volk Israel
aus Ägypten, aus der Gefangenschaft, aus der Versklavung heraus zu führen.
Mose ist zutiefst verunsichert: „Und wenn die Israeliten mich fragen, wer hat dich
dazu beauftragt? – Was soll ich ihnen sagen?“
Sag ihnen: Der ICH BIN – ani hu- hat mich gesandt. Der ICH WERDE SEIN, DER
ICH SEIN WERDE hat mich gesandt.
Was für eine Antwort, was für ein Name, was für eine Identität.
Ein Geheimnis, das den Namen Gottes umhüllt.
Und dieser Name, dieses ICH BIN steht für Gnade, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit,
Treue, Eifersucht, Wahrheit.
Der Heilige hat keinen Namen, wie Menschen ihn haben. ER IST – das sagt alles.
Seine Existenz ist das Sein, das Seiende.
Und nun: ICH BIN Zum Dritten.
Unsere Aufmerksamkeit wendet sich nun Jesus zu. Genauer zum Evangelisten
Johannes, wie er Jesus von Nazareth bezeugt.
Bei ihm hören wir die sieben Ich- bin- Worte Jesu:
Ich bin das Brot des Lebens
Ich bin das Licht der Welt
Ich bin die Tür
Ich bin der gute Hirte
Ich bin die Auferstehung und das Leben
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben
Ich bin der wahre Weinstock
ICH BIN da haben wir es wieder. Dass einer sagt ICH BIN. ego eimi – so hat es
Johannes auf Griechisch geschrieben, was im Alten Testament das ANI HU ist.
Ob Johannes damit auf Jesus übertragen wollte, was im Alten Testament von Gott
gesagt war?! – Vieles spricht dafür.
Diese Einzigartigkeit, dass ein Name steht für Gnade, für Barmherzigkeit, für
Gerechtigkeit, für Treue, für Eifersucht, dem entschiedenen Kampf für die
Wahrheit.
Dass nun also Jesus die Sache Gottes auf Erden vertritt.
Es ist geradezu eine Demokratisierung des Gottesnamens.
Jedenfalls sprechen alle Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas, Johannes)
Jesus den Ehrentitel zu: „Du bist Gottes Sohn“.
Und nun: ICH BIN Zum Vierten.
dem eigentlichen Predigttext, der beginnt mit den Worten: „ICH BIN“
L e s u n g Johannes 15, 1-5 Jesus, der wahre Weinstock
„Ich bin der wahre Weinstock. Mein Vater aber ist der Gärtner. Jede Rebe
an mir, die keine Frucht trägt, schneidet er weg. Und jede, die Frucht bringt,
reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.- Ihr seid schon rein durch das Wort,
das ich zu euch gesprochen haben. Bleibt in mir, so wie ich in euch bin.
Wie eine Rebe keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock
bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm,
der bringt viel Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Mit diesem Bildwort vom Weinstock und den Reben will Johannes uns ja nicht sagen,
wer Jesus ist, sondern will darstellen, was er für die bedeutet, die ihm nachfolgen,
will also bezeugen, was wir an ihm und durch ihn haben.
Welche Impulse von ihm ausgehen. Welches Kraftpotential er für die Seinen
bedeutet. Ja, was haben wir von Jesus?
Meine Lieben. Unendlich viel haben wir an ihm, haben wir von ihm.
Grundlegendes gibt er uns mit auf dem Weg durch das Leben. Entscheidende
Impulse für gelingende Lebensgestaltung. Um im Bild zu bleiben: Viel Frucht.
Wir fragen: Wie können wir viel Frucht bringen? Wie kann Leben gelingen?
Der russische Forscher und Anthropologe Nikolai Miklucho Maklai (19. Jhdt) gibt
dazu einen guten Rat: „Richte dein Leben ein, wie du denkst, aber vergiss nicht zu
denken.“
Im Blick auf das Nachdenken über das Leben könnte dieser Rat bei denen, die sich
Christen nennen, so angewandt werden:
„Richte dein Leben ein, wie du denkst, aber vergiss nicht, Jesus mit einzubeziehen“
„Bedenke, was es heißt, dass du auf seinen Namen getauft bist.“
„Bedenke, was es heißt, dass du Christ bist, benannt nach ihm, dem Christus.“
Bedenke, wie er gelebt, wie er geglaubt, was er gesagt, was er getan, wofür er sein
Leben eingesetzt hat – und was das bedeuten könnte für dich – als
handlungsleitendes Motiv deiner Lebensgestaltung.
Frucht bringen, mehr Ertrag, mehr Gewinn?!
Die Früchte, die Jesus meint, finden wir aufs deutlichste z.B. in der Bergpredigt. –
Es geht ihm um Liebe, ganz konkret: Einfühlungsvermögen, soziale Kompetenz,
Verantwortungsbewusstsein, es ist gefragt der Respekt vor der Würde des
Menschen neben mir, es werden erwartet Güte und Nähe.
Es kommt darauf an, empfindsam zu werden für das Leid des Menschen und der
Kreatur. Und nicht zuletzt: Es geht um den Respekt vor meinem eigenen Leben.
Das sind Früchte am Weinstock, der da Jesus heißt.
Solche Früchte der Liebe werden von Jesus angemahnt. Von jedem.
Von Inhabern von Führungspositionen in Politik, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft,
Kirchen. Von jedem von uns.
Vielleicht könnte es dies sein, was Jörg Zink einmal so formulierte:
„Wenn das Christentum nicht wieder seinen mystischen Hintergrund entdeckt, dann
hat es uns nichts mehr zu sagen.“
Oder anders herum: Wenn wir- wieder- unsere Verbindung mit Christus entdecken
und leben, dann haben wir Christen- wieder – etwas zu sagen.
Und wenn uns dann einmal einer fragt: Wer bist du denn? Dann könnten wir
selbstbewusst reagieren: Vielleicht so: „Ich bin ich“, „ich bin auf Jesu Seite.“
Amen.
Ludwig Scherer
Pfarrer i.R.
Gottesdienst in der Vaterunserkirche
München – Oberföhring
10.10.2021