Die Evangelische Kirche lädt ein jeden Abend um 19 Uhr auf dem Balkon, am Fenster oder vor der Tür das Lied „Der Mond ist aufgegangen“ singen. Denn Singen verbindet und tut gut.
Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen… diesen Text kennen viele auswendig und haben ihn schon als Kind als Abendlied gehört. Man kann geborgen einschlafen, wenn am Ende – wie am Ende der ersten Strophe – alles wunderbar ist. Die letzte ebenfalls sehr bekannte Strophe mit ihrer Anrede So legt euch denn ihr Brüder (gemeint waren schon damals alle Menschenkinder) führt allerdings mitten hinein in unsere Tage. Denn nun ist nicht mehr alles einfach wunderbar, sondern der Abendhauch ist kalt. Es gibt damals noch die Angst vor Strafen Gottes, und die Sorge um den ruhigen Schlaf, die viele heute umtreibt, und ja, um unsern kranken Nachbarn auch.
Als Matthias Claudius diesen Text 1779 schrieb, waren Krankheit und Tod ganz anders präsent als heute. Vieles, was uns heute als Lappalie erscheint, war für Menschen unbesiegbar, lag also in Gottes Hand. Das Jahrzehnt, in dem der Text entstand, war von Hungerkatastrophen und neuen, tödlichen Infektionskrankheiten in vielen Regionen Deutschlands verbunden. Und da schreibt Matthias Claudius, der selbst viel Krankheit und Tod und Leid in seiner Familie erlebt hat, diesen Text voller Zuversicht und Vertrauen.
Dieses Gottvertrauen lässt vielleicht diejenigen in diesen Tagen tief durchatmen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als die Sorgen um Angehörige, die direkt betroffen sind oder aber im Ausland festsitzen, die Sorgen der Krisenstäbe, eben all des Tages Jammer einmal eine Zeitlang zu verschlafen oder sei es nur für die Dauer dieses Liedes zu vergessen. Wer in die Welt blickt, wird ermutigt dazu, mehr zu sehen als das, was gerade für jeden sichtbar ist. Es gibt Hoffnung. Der Mond ist doch rund und schön. Diese Welt, die guten Seiten des Miteinanders, auch die unfreiwillige Entschleunigung, die Kreativität an vielen Stellen sind und bleiben schön.
Die vierte und fünfte Strophe wurden vielleicht in den letzten Jahren nicht mehr viel gesungen – nicht mehr zeitgemäß. Aber nun lernen wir doch wieder, wie es sich anfühlt, wenn man eine Lage nicht im Griff hat, wenn eine Krankheit auf einmal alle bedroht, nicht nur Einzelne. Wenn Existenzen bedroht sind, wenn Folgen unabsehbar werden. Wenn sich unsichtbar etwas Bedrohliches in unseren scheinbar so lenkbaren Alltag eingeschlichen hat. Können wir es lernen, dabei nicht die Lebensfreude zu verlieren und, wie Kinder, das Leben zu genießen?
Trotzdem verschweigt dieses gesungene Abendgebet den Tod nicht. Unser Leben ist zerbrechlich, angreifbar und endlich. Wir werden jetzt wieder daran erinnert. Und zugleich können wir uns mit diesem Lied daran erinnern lassen, dass der Tod nicht das letzte Wort über uns hat. Auch nicht die Angst vor dem Tod oder seine Realität. Denn das Lied erinnert daran, dass es zugleich das Leben in aller Fülle gibt – jetzt und über den Tod hinaus. Davon können wir gemeinsam ein wunderbares Lied singen und dann hoffentlich in unseren stillen Kammern ruhig schlafen, in dieser Nacht und in allen, die kommen.