Ein Brief an Putin

Veröffentlicht in: Allgemein | 0

Der Predigttext für den 27. Februar 2022:
31 Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

34 Und Jesus rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. (Markus 8)

Sehr geehrter Herr Präsident Wladimir Putin,

ich hoffe, dass ist in Ihrem Fall die korrekte Anrede. Mit dem „sehr geehrt“ bin ich mir nämlich gar nicht so sicher. Eigentlich hätte ich eine Predigt und keinen Brief schreiben sollen. Aber Sie haben mir diesen Brief regelrecht aufgedrängt und alles andere wäre in dieser Woche wohl eine Themenverfehlung.

Manchen wird dieser Brief jetzt viel zu politisch sein, aber so ist das immer, wenn man sich als Pfarrer öffentlich äußert: den einen ist man zu politisch, den anderen zu wenig. Man kann es nicht allen Recht machen. Auch Ihnen wird dieser Brief nicht Recht sein. Aber ich weiß natürlich auch, dass Sie diesen Brief nie lesen werden. Sie haben gerade anderes zu tun. Sie führen Krieg. Und genau deshalb schreibe ich ja diesen Brief.

Sie können sich denken, was ich mit vielen Menschen hier in Deutschland von ihrem Krieg halte: ich bin entsetzt. Ich bin traurig. Ich bin ohnmächtig. Deshalb schreibe ich so ein bisschen als therapeutische Maßnahme.

Sie werden mir entgegnen, dass Krieg zum Weltgeschehen schon immer dazu gehörte, dass große Staatenlenker Dinge tun müssen, die für kleine Pfarrer nicht verständlich sind, dass sie nur einen Verteidigungskrieg gegen die Nato führen.

Aber mit Verlaub, Herr Präsident, wir beide und Millionen von Menschen wissen, dass das Bullshit ist. Man kann sich nicht verteidigen, indem man ein anderes Land angreift. Das erste Opfer in jedem Krieg ist die Wahrheit, heißt es so treffend.

Die Weltgemeinschaft dachte, dass Sie sich nur die Ostukraine endgültig in Ihr riesiges Reich einverleiben wollen. So haben sie es ja schon mit der Krim gemacht. Das wäre schon schlimm genug gewesen.

In der Ostukraine scheint der Minsker Vertrag von beiden Seiten nicht umgesetzt worden zu sein. Es gab Kämpfe. Sie sprachen von einem Genozid bis heute ohne irgendeinen Beweis vorzulegen. Das war dann wohl die nächste Lüge um ihrem Volk gegenüber diesen Krieg zu rechtfertigen.

Seltsam, dass ausgerechnet Sie sich so für die Unabhängigkeitsbewegungen in der Ostukraine einsetzen. In Ihrem eigenen Land lassen Sie Unabhängigkeitsbewegungen traditionell ja lieber blutig niederschlagen.

Trotzdem muss ich anerkennen, dass Sie verdammt schlau sind. Sie haben diesen Krieg ganz offensichtlich von langer Hand geplant und doch haben viele sich das nicht vorstellen können. Sie wissen, dass die Ukraine gegen das hochgerüstete russische Militär auf Dauer keine Chance hat sich zu behaupten.

Und sie wussten auch, dass niemand der Ukraine zu Hilfe eilen würde. Niemand ist so verrückt einen Krieg gegen eine Atommacht zu führen, die damit droht diese Atomwaffen einzusetzen. Mich würde ja interessieren was gewesen wäre, wenn die Ukraine ihre Atomwaffen aus Sowjetzeiten nicht abgegeben hätte, Nato-Mitglied geworden wäre oder früher Flugabwehrwaffen aus Europa erhalten hätte? Hätte, hätte, Fahrradkette.

Nicht den 2.Weltkrieg mit dem Holocaust, sondern den Untergang der Sowjetunion bezeichneten Sie einst als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Sind Sie jetzt dabei die Sowjetunion wieder aufzubauen, um sich ein Denkmal zu setzen?

Vorerst kann man Ihnen fast jetzt schon zu ihrem erfolgreichen Kriegsmanöver gratulieren. Es gibt nur leider keinen, der gratulieren will. Nicht einmal China, obwohl die Ihr Vorgehen im Hinblick auf Taiwan sehr interessant finden.

Unsere Politiker sagen, dass Sie das noch bereuen werden. Aber mal ehrlich, wie wollen die Sie spürbar bestrafen? Letztlich braucht Deutschland russisches Gas, weil wir seit Jahren mit der Energiewende nicht vorankommen. Bisher waren fossile Energien einfach billiger und der Geldbeutel ist dem Menschen allemal näher als die kommenden Generationen.

Aber was sollen unsere Politiker auch sagen? Natürlich sind sie empört, aber letztlich genauso ohnmächtig wie wir alle. Ich will unsere Politiker deshalb gar nicht schimpfen. Ich bin beeindruckt, wie die immer wieder mit Ihnen das Gespräch suchen. Ich muss gestehen, ich hätte da nicht so ruhig bleiben können. Ich glaube ich wäre Ihnen gegenüber hin und wieder auch einmal sehr emotional geworden. Die antidemokratische Meinungsmache der russischen Trollarmeen nerven, die russischen Cyper-Angriffe auf andere Länder sind unverschämt und die hinterlistige Einmischung in den Wahlkampf mit Internet-Bots ist ein No-go. Die Auftragsmorde an russischen Oppositionellen, Journalisten und anderen, teils sogar mitten in Berlin, brauchen Sie nun nicht einmal mehr abzustreiten.

Unsere Politiker haben all das und werden nun noch viel mehr einfach runterschlucken müssen, denn wir werden auch in Zukunft weiter mit Ihnen im Gespräch bleiben. Sie haben sachlich schon Recht, wenn Sie sich jetzt über den machtlosen Westen lustig machen. Aber bitte vergessen Sie nicht: Wir haben nur diese eine Welt. Wir sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen.

Auch die demokratische Bewegung in der Ukraine wäre auf Hilfe angewiesen. Siewird nun wohl ein für alle Mal eingeäschert. Damit ist die Gefahr gebannt, dass sie sich auch in Russland ausbreiten könnte. Man kann Ihnen nur gratulieren. Ein sicherer Lebensabend auf einer Ihrer gigantischen Villen scheint damit garantiert.

Ohne bisher eine Miene verzogen zu haben werden Sie mir jetzt entgegnen, dass auch andere Staaten manchmal für ein höheres Wohl unmoralisch handeln und von Lügen angefangen bis hin zum Krieg vor nichts zurückschrecken. Sie müssten – rhetorisch geschult – die USA und den Irakkrieg nicht einmal erwähnen.

Vielleicht möchten Sie auch darauf hinweisen, dass die russisch-orthodoxe Kirchenleitung Sie mit keinem Wort kritisiert, den Militärdienst jüngst einen Akt-der-Nächstenliebe genannt und sich ebenso die abtrünnige ukrainische Kirche wieder einverleiben möchte.

Ein Sieg auf ganzer Linie für Sie, Herr Präsident. Aber zu welchem Preis? Menschen sterben, nicht nur Soldaten und die sind übrigens auch Menschen. Mühevoll aufgebaute Häuser und Infrastruktur werden in Sekundenbruchteilen zerbombt. Millionen von Menschen sind bald auf der Flucht, noch mehr in Angst und Schrecken.

Wir in Deutschland leiden ohnmächtig mit den Menschen in der Ukraine. Das ist kein schönes Gefühl. Und doch sind wir damit in guter Gesellschaft. Ohnmächtig litt Jesus am Kreuz. Die Starken setzten sich damals schon mit brachialer Gewalt durch.

„Der Menschensohn muss viel leiden“, heißt es im heutigen Predigttext. Petrus wollte das nicht. Er griff bei der Verhaftung des unschuldigen Jesu sogar zum Schwert und wurde von Jesus zurückgepfiffen.

Wir können ebenso wenig wie Petrus das Leiden in der Welt aufhalten. Wir erdulden es zähneknirschend, damit die Gewalt nicht eskaliert.

„Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“, sagt Jesus. Eigentlich wollte ich diesen Predigttext (Mk 8) heute gar nicht predigen. Durch Sie, Herr Putin, ist dieser alte Text wieder aktuell geworden. Am liebsten möchte ich Ihnen zurufen: Was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?

Aber ich weiß gar nicht, ob ein Mensch wie Sie nach einer langen militärischen Ausbildung sich Gewissensbisse macht oder sich das gänzlich abtrainiert hat.

Vielleicht geht Ihnen und manch anderen dieser Brief zu weit. Viel weiter ging in dieser Woche der ukrainische Vertreter im UNO-Sicherheitsrat. Er wandte sich an den russischen Botschafter und sagte: „sie fahren direkt in die Hölle.“

Ich glaube an keine Hölle. Ich glaube an den leidenden Jesus. Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, sondern an Mitgefühl, Verantwortung und die Liebe. Deshalb habe ich diesen Brief an Sie geschrieben. Und auch, weil ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen möchte. Dieser Brief hört sich für Sie vielleicht an wie eine Abrechnung. Aber das ist er gar nicht. Ich werde diesen Brief nämlich gar nicht abschicken. Sie haben keine Zeit diesen Brief zu lesen. Warum ich diesen Brief dann trotzdem geschrieben habe? Ganz einfach, damit unsere geschundenen Seelen wenigstens ein bisschen Luft ablassen können.

Vielleicht sollten auch Sie, Herr Putin, mehr Briefe schreiben und weniger Kriege führen. Das wäre dann wohl mehr im Sinne von Jesus, dem eigentlich auch sie als Christ nachfolgen sollten.