Kirchenasyl

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Unser Stall in der Schützenstraße ist wieder offen!

Es ist ein warmer Herbsttag Mitte September in der Marktstraße vor der Eisdiele „Garda“. Für viele ist es ein normaler Tag, aber nicht so für Ahmad.

56 Tage hat er den Grund der ev. Kirchengemeinde nicht verlassen dürfen. Er hat im grünen Zimmer provisorisch gelebt, und wurde von einem Kreis an Helfern mit Essen und Hygieneartikeln versorgt. Zum ersten Mal sieht er nun die Isar, den Kalvarienberg, die Altstadt.

Ich stehe neben Ahmad vor der Eisdiele, als er sich nervös und konzentriert ein Schokoladeneis in der Waffel bestellt. Sein erster deutscher Satz in der Öffentlichkeit. Wir haben lange geübt. Wort an Wort gereiht, immer wieder: „Ich möchte bitte eine Kugel Schokoladeneis in der Waffel, bitte!“

Ich bin so stolz auf diesen 26-Jährigen, der alles Recht besäße, sich über sein Schicksal zu beklagen. Eine Bombe hat seinen Fuß zerfetzt, seine Brüder sitzen im Gefängnis, er flieht drei Jahre lang von Syrien nach Deutschland. In Europa sitzt er im Gefängnis, wird gefoltert, soll abgeschoben werden.

Ein Kirchenasyl ist immer ein Risiko. Wie stabil ist der Mensch, der bei uns ankommt? Kann er das, was er erlebt hat, verarbeiten und sich einlassen auf Menschen und eine neue Kultur? Hat er Kraft eine neue Sprache zu lernen?

Ich habe oft darüber nachgedacht, ob ich auch noch so Menschen zugewandt, freundlich und positiv, wie Ahmed wäre, wenn ich sein Schicksal durchlebt hätte. Jedes Mal wenn wir zusammen Zeit verbringen, schafft er es, mich anzustecken mit seiner Lebensfreude, Gelassenheit und Zuversicht, dass wir es schaffen eine Welt zu formen, in der jeder seinen Platz findet.

Und während ich neben Ahmad sitze und mit ihm ä, ü, und ö übe und den Unterschied der drei bestimmten Artikel im Deutschen erkläre, denke ich oft über den Satz nach: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ Nicht unbedingt die, die wir selbst zu unseren Nächsten machen, sind unsere Nächsten. Wir kümmern uns um Familie, Freunde, uns beruflich Anbefohlene, doch sind dies wirklich unsere Nächsten? Meint Christus nicht eher eine andere Gruppe?

Ich denke an Ahmads Mutter, die um das Leben ihres Kindes gebangt hat und die sich sorgt, um die Zukunft ihres Sohnes. Wie muss es für sie sein zu wissen, dass ihr Sohn in einer ihr unbekannten Welt lebt, in der er angewiesen ist auf die Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe von Menschen, deren Sprache, Gesetze und Kultur er nicht versteht. Menschen, die zu Recht beschäftigt sind mit ihren Leben, im Stress und die sich nicht auseinandersetzen wollen mit den Schwachstellen des Dubliner Abkommens oder den Zuständen in Massenunterkünften.

Meine 13-jährige Tochter fragte mich diesen Sommer, warum wir es zulassen, dass wir in dieser Welt voll Ungerechtigkeit und Leid leben, wo wir als Menschheit doch so viel Wissen, Ressourcen und Willenskraft haben.

Wir haben dieses eine Leben. Wir können Veränderung bewirken, oftmals nur im Kleinen. Doch genau dies macht den Unterschied.

Ein besonderer Dank geht an …

Ivan, der Ahmad einfühlsam und mit Selbstverständlichkeit eingebunden hat.

Christian, der Berge von arabischem Brot besorgt und nach dem rechten geschaut hat.

Matthias, der Pfarrsekretär für alle Fälle und Dinge.

dem ganzen Team vom Kirchenasyl 2023: Rainer, Irene, Maria, Eva, Bernd, Wiebke, Urs, Jasmin, Sabine, Sebastian, Johannes, Britta, Katharina, Daniel, Yossi, Ilai, Ferdinand, Korbinian, Tobias, Tobi, Benno, Michl und Moritz.

alle die Helfer, die sich seit Jahren für Flüchtlinge engagieren und in den Helferkreisen mitarbeiten.

Wenn sich viele (Kirchenmit-) Glieder um eine Person wie Ahmad kümmern, dann geht es leicht, es schafft starke Verbindungen und neue Kontakte untereinander und erfüllt unsere Aufgabe als Christen und Kirchengemeinde.

Was wünscht sich Ahmad für seine Zukunft?

„Mein Wunsch ist es, ein schönes und friedliches Leben zu führen und meine Familie gut zu sehen.“ (Google Translate)

Möge Dir dies gelingen, lieber Ahmad! Sei gesegnet!                                                  Britta Schultheiß

Bild oben: Brettspiele beim Abschiedsfest mit dem Helferteam. Bild unten: Berggottesdienst auf dem Buchberg