Karfreitagspredigt von Pfarrer i.R. Ludwig Scherer:
Ja, liebe Gemeinde: So ein Kreuz mit dem Kreuz.
Die Christen sind mit ca. 2 Mrd. Mitgliedern größte Weltreligion.
Neben dem Judentum, dem Islam, dem Hinduismus und dem Buddhismus.
Und das Symbol der Christen ist – ein Kreuz.
Hinweis auf den Tod Jesu.“
Die Kreuzigung war damals bei den Römern eine für Verbrecher übliche Strafe.
So schrecklich allerdings, dass sie für römische Staatsbürger nicht erlaubt war.
So schrecklich auch, dass die Familienangehörigen nicht dabei sein durften.
Jesus ist 34 Jahre alt, als er nach Verhör, Verspottung, Folterung von Pontius Pilatus, dem Präfekten des römischen Kaisers Tiberius, zum Tod am Kreuz verurteilt wurde.
Aber erst spät, etwa im 4. Jhdt. fing das Christentum an, Leiden zu verherrlichen und das Bild des Gekreuzigten auf dem Altar aufzustellen.
Vorher, ca. drei Jahrhunderte lang, wurde die Auferstehung Jesu Christi als der alleinige Mittelpunkt des Heilsgeschehens angesehen. Außerdem galt die Kreuzigung Jesu in der Kunst als nicht besonders hervorhebenswert, da viele Hunderttausende so hingerichtet wurden.
So dominierte in der frühchristlichen Kunst das Bild des Guten Hirten und es stand z.B. als Bild auf dem Altar.
Heute ist, wie gesagt, das Symbol der Christen das Kreuz. Es begegnet uns auf Schritt und Tritt. Auf Wanderungen am Wege, auf dem Gipfel der Berge, auf dem Friedhof, selbstverständlich in den Kirchen, als kleiner Anhänger am Hals, als 17 Meter hohes Gebilde im Lübecker Dom. Die Katholiken bekreuzigen sich im Gottesdienst und Joseph Haydn komponiert 1727 das Oratorium: „Die 7 letzten Worte des Erlösers am Kreuz.“
Das Kreuz, es steht am Karfreitag im Zentrum der Gedanken und dann aber auch immer wieder mitten im Leben :
„So a Kreiz, Herr Pfarrer, wos i ois mitmach!“.Und dann kommt das alles: „Die Zerwürfnisse in der Familie, die Schulden, die auf dem Haus lasten, die niederschmetternde Auskunft des Arztes, der Tod des Bruders, die Pflege der dementen Eltern. „So a Kreiz, des ois!“
Und dann über das persönliche Ergehen hinaus: Wenn ich in den Nachrichten einen Blick in das Weltgeschehen richte. Wenn Flüchtlinge aus Libyen und anderen Ländern im Mittelmeer ertrinken, wenn ein Wahnsinniger mit seinem Auto in einen unbeschwerten Faschingszug rast, und dann natürlich das Kreuz mit Corona weltweit und ganz hautnah neben uns.
„Ich (Betrachter). Zerbrochen in der Tiefe. Gehalten durch das Kreuz“ so betitelt Wolfgang Seehaus sein Kunstwerk. Die Linien stören auf dem Spiegelbild. Sie erinnern mich an Sprünge und Brüche in meinem Leben.
Ob auch Jesus am Ende seines Lebens es so empfunden hat: Ich – zerbrochen in der Tiefe. Gehalten durch das Kreuz.
So lasst uns nun näher hinsehen auf das Ende Jesu am Kreuz.
Lasst uns hinhören auf das, was er, den Evangelien gemäß, gesagt hat.
Wir sind gewohnt, von den „letzten 7 Worten des Erlösers am Kreuz“ zu sprechen.
So, als hätte Jesus sie so der Reihe nach gesprochen, geschrien, geseufzt.
Doch die Schmerzen der Gekreuzigten und die Todesqualen ließen sie sehr schnell verstummen in ihrer Ohnmacht.
Aber nun sind uns diese Worte, diese Sätze überliefert.
Was nun?
Ich versuche, das zu verstehen mit einem Blick auf die Sterbebildchen, wie sie heute üblich sind. Die werden nicht verfasst von denen, die den Tod vor sich haben, sondern von den Angehörigen, die um einen der ihren trauern.
Und dann steht da neben einem Bild des Verstorbenen, seinem Geburts- und Sterbedatum oft ein Spruch, mit dem die Angehörigen ihn charakterisieren:
Einige Beispiele:
Man sieht die Sonne langsam untergehen, und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.
Oder. Unser Fels in der Brandung steht nicht mehr.
Oder: In Liebe bist du gegangen, in Liebe werden wir uns wiedersehen.
Oder: Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.
Und noch viele andere Worte, mit denen Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken.
Und dann ist da noch eine Tatsache, die uns die Worte Jesu in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Die vier Evangelisten, die diese Worte aufgeschrieben haben, waren ja nicht dabei bei der Kreuzigung. Sie haben ihren Blick auf Golgatha ca. 30 bis 70 Jahre nach Jesu Tod aufgeschrieben und weitergegeben mit einem Wort, mit einem Gedanken, der ihnen im Blick auf Jesu Leben und Botschaft wesentlich erschien. Ja, so ähnlich wie bei den Sterbebildchen.
Ich möchte nun im Folgenden diese 7 verschiedenen Worte der Evangelisten uns vor Augen führen, zusammen mit der Überlegung, inwiefern sie für unser Leben und Sterben von Bedeutung sein könnten.
Sowohl von Markus wie auch von Matthäus ist uns überliefert der Aufschrei:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sie kannten diesen Satz aus dem Psalm 22, wo es auf Hebräisch heißt: Eli, eli, lama asabtani.
Wer ans Kreuz genagelt ist, dieses unsagbare körperliche, seelische wie geistliche Leid erleidet, wer von seinen Freunden verlassen, von der Volksmenge und den Leidensgenossen neben sich verhöhnt wird, der kann wirklich nur mehr rufen, sofern er noch rufen kann: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?. Er, der seinen Gott Vater nannte, kann diese Wahnsinnssituation nur mehr als ein „Getrennt-
Sein vom Vater“ erleben.
So was kennen Menschen auch heute. Dieses Sich-verlassen-wissen von Gott und der Welt. Wenngleich nicht immer in so dramatischer Weise.
Ich erinnere mich an Friedrich von Bodelschwingh, d..Ä., dem evang. Pfarrer, Gründer und Leiter der von-Bodelschwingh’schen- Anstalten „Bethel“. Es war dies eine Heil- und Pflegeanstalt für Epileptiker, psychische Kranke und für die „Brüder von der Landstraße“, und ist heute mit 18.845 Mitarbeitern das größte Sozialunternehmen Deutschlands.
Als von Bodelschwingh im hohen Alter, selbst auf den Rollstuhl angewiesen, von einem Mitarbeiter durch den Park gefahren wurde, hörte dieser ihn leise murmelnd zu Gott beten: „Und wenn ich dann, Gott, vor deinem Thron stehe, werde ich manche Fragen an dich haben.“
Vielleicht dachte er dabei neben dem vielen Leid, das er bei Menschen in seiner Einrichtung erlebte, auch daran, dass innerhalb von zwei Wochen seine vier Kinder gestorben sind.
Nun der Evangelist Lukas. Er hat uns drei Worte Jesu mit auf den Weg gegeben:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Meint Lukas damit die Schriftgelehrten und Rabbiner, die Jesus zur Seite haben wollten, meint er den Pöbel, der Jesu Kreuzigung verlangte, meint er Pontius Pilatus, der gegen bessere
Einsicht („Ich finde keine Schuld an ihm“ ) das Todesurteil sprach, meint er die Soldaten, die ihn folterten und kreuzigten?
Wie auch immer: Am Ende steht die Bitte um Vergebung- wie groß auch immer die Schuld sein mag, damals und heute: Vater, vergib ihnen. Sie wissen gar nicht, was sie tun. Und bis heute erreicht uns Jesu Wort: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“
Und ganz konkret wird die Einstellung Jesu nach Lukas, wenn er zu dem neben ihm gekreuzigten Dieb, der zu seiner Schuld steht und bereut, wenn er zu ihm sagt: „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Wir werden erinnert an Jesu Versprechen: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Wir, als Christen, werden geradezu aufgefordert, egal, welche Schuld auch immer einer auf sich geladen hat, ihn anzunehmen, ihm eine Chance einzuräumen: Er ist doch Gottes Kind.
Und dann das letzte Jesuswort nach Lukas: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das war Jesu Glaube, im Leben und im Sterben.
Ob das auch unser Glaube ist: Mitten im Leben, und einst im Sterben. Dass ich bete am Tag, wenn ich mich auf den Weg mache und ins Auto einsteige, wenn ich mich abends zu Bette lege, und einst am Ende meines Lebens getrost dieser Welt
„Ade“ sagen kann mit den Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich mich.“
Für Johannes, der sein Evangelium etwa 70 Jahre nach Jesu Leben und Tod geschrieben hat ( also 2-3 Generationen später ) sind ganz menschliche Überlegungen wichtig: Wie war das wohl, als Jesus starb, wer kümmerte sich dann um seine verwitwete Mutter Maria? Darum: „Frau, siehe. dein Sohn“ Und an den Jünger, den er liebte: „Siehe, deine Mutter.“ An seiner Statt gibt Jesus seiner Mutter einen anderen Sohn, u.a. für ihre Versorgung und Schutz in der Gesellschaft. Das ist für Johannes ein wichtiger Moment beim Tode Jesu.
Vielleicht so ähnlich, wie wenn heute alt gewordene Menschen angesichts des nahenden Todes ihre Erbangelegenheiten regeln und für geordnete Verhältnisse unter den Zurückbleibenden Sorge tragen.
Und dann: „Mich dürstet.“ So, als wollte Johannes nachdrücklich darauf hinweisen: Ja, Jesus ist wahrer Mensch gewesen. Er hat gelebt wie alle Menschen, er hatte Durst, er hat gelitten, er ist gestorben.
Vielleicht so ähnlich, wie wenn ein Sterbender auf der Palliativstation etwas Wasser gereicht bekommt, oder nur seine Lippen befeuchtet werden. Weil er dürstet.
Und dann hören wir bei Johannes Jesus an seinem Ende sagen. „Es ist vollbracht.“
Wahrscheinlich liegt Johannes nicht nur daran, darauf hinzuweisen, dass Jesu Leben nach 34 Jahren zu Ende geht, sondern in viel größerem Horizont sein Dasein zur Erfüllung kommt. Er hat den Menschen seiner Zeit das Reich Gottes gepredigt, er hat gelebt im Vertrauen darauf, dass Gott sein und aller Vater ist. Und diese Botschaft reicht bis in unsere Zeit, will bis in unser Herz hinein reichen. Mehr geht nicht, als dass über unserem Leben auch einmal gesagt werden könnte: tetelestai: Es ist vollbracht.
Das Ende ist das Ziel. ER ist ans Ende gekommen. ER hat sein Ziel erreicht.
Sieben Worte des Erlösers am Kreuz. Die Zahl 7 hat im Judentum wie im daraus hervorgegangenen Christentum die symbolische Bedeutung einer heiligen Ganzheit. Eine solche Ganzheit begegnet uns in den von den Evangelisten überlieferten letzten sieben Worten Jesu.
Oder auch in der Auferstehungssymphonie von Gustav Mahler, wo der Chor ganz am Ende in überwältigender Weise singt:
Was entstanden, wird vergehn.
Was vergangen, auferstehn.
Sterben werd ich, um zu leben.
Heute ist Karfreitag. Im Zentrum dieses Tages das Kreuz Jesu.
Doch wir verneigen uns nicht vor dem Kreuz. Wir verneigen uns vor dem Gekreuzigten.