Osterpredigt von Martin Steinbach

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Johannesevangelium Kapitel 20,

Verse 11 – 18

Maria von Magdala

11Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab 12und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. 13Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14Und als sie das sagte, wandte sie sich um, sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. 16Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Liebe Gemeinde,

Dass Maria Magdalena allein am Grabe Jesu erscheint, hatte damals natürlich nichts mit Corona zu tun! Es zeigt vielmehr die Einsamkeit, in der sie sich befindet. Aber auch diese Einsamkeit ist weit schlimmer, als die, die wir vielleicht zu diesem Osterfest 2020 empfinden. Maria ist ganz und gar versunken in ihren Schmerz, weil die Geschichte mit ihrem Jesus am Ende scheint. Die Begegnung mit den Engeln ändert diese Situation nicht. Sie bringen weder einen Trost noch eine Botschaft für Maria, sondern fragen nach dem Grund ihrer Tränen. Die Antwort, die sie von Maria erhalten, zeugt von ihrer Ratlosigkeit: der Leichnam Jesu ist verschwunden und sie weiß nicht, wo er geblieben ist. Die Engel treten in dieser Situation weder als Künder der Auferstehungsbotschaft auf, noch können sie sonst irgendwie helfen. Ihnen kommt vermutlich nur die Funktion zu, die Berührung der göttlichen Wirklichkeit mit der irdischen Wirklichkeit vorzubereiten. So wie es die Engel am Hirtenfeld schon getan haben.

Ich erkenne in dieser Maria Magdalena viele Gestalten meiner Zeit. Die verzweifelten Palästinenser in ihren Orten um Gaza und auf der Westbank. Die gegenwärtige politische Entwicklung hat sie zwar nicht überrascht, aber sie hatten keine Möglichkeit, sie zu ändern.

Und jetzt sitzen sie hinter den Mauern der Apartheid und wissen nicht, wie es weitergeht. Oder die trauernde Mutter, deren Tochter nach ihrem Tod der Familie so sehr fehlt. Natürlich wusste sie von den zuletzt nur noch geringen Heilungschancen, aber irgendwie gab es immer noch Hoffnung in ihr. Jetzt ist das traurige Ende Gewissheit. In dieser Verzweiflung nützen auch Engel wenig, sie helfen allenfalls, dass die Verzweiflung ausgesprochen werden kann, was ja wenigstens schon ein Anfang ist.

Fast abrupt bricht diese erste Szene ab, und das Bild ändert sich. Es kommt zur Begegnung zwischen Maria und dem Auferstandenen. Bezeichnend ist der Ort, wo diese Begegnung stattfindet: in einem Garten. Das Grab lag in einem Garten. Daher ist nicht verwunderlich, dass Maria in dem ihr Unbekannten zunächst einen Gärtner vermutet.

Erinnern wir uns: In einem Garten, im Garten Eden, ist der Mensch aus der Nähe Gottes verstoßen worden, in einem Garten wird der Mensch – in Gestalt der Maria von Magdala – wieder von Gott angenommen. Hatten sich damals in diesem Garten Eden noch Adam und Eva vor Gott verborgen, so bleibt nun Gott in der Gestalt eines Gärtners zunächst dem Menschen verborgen. Hatte Gott damals den Namen des Menschen gerufen: „Adam, wo bist du?“ um den Menschen zur Rechenschaft zu ziehen, so ruft der Herr hier den Namen des Menschen, um ihn zu heilen. Die Gestalt des Gärtners ist auf einmal nicht mehr zufällig: Denn der Gärtner ist der, der zwar auch sät und erntet, der auch hegt und pflegt, der aber vor allem dem naturgegebenen Chaos und Durcheinander eine Ordnung abringt. Der Gärtner ist der In-Ordnung-Bringer. So gesehen ist der Auferstehungsbericht des Johannes die Umkehrgeschichte des Sündenfalls und wir verstehen: Was damals im Paradies durch den Menschen in Unordnung gekommen ist, was den Fluch von Disteln und Dornen provoziert hat, das wird jetzt, durch den auferstandenen Gottessohn – durch den Gärtner, wieder in Ordnung gebracht. Dieser Gärtner spricht Maria an und ruft sie beim Namen, da wendet sie sich um und erkennt ihn. Mehr noch: da wendet sich ihr Schicksal und es wird Ostern für sie.

Ich wünsche dieses Osterfest der Maria allen Menschen meiner Zeit. Dass sie, vielleicht vorbereitet durch Engel in der Gestalt menschlicher Begleiter, dem Gärtner begegnen. Dass sie sein „In-Ordnung- Bringen“ erfahren dürfen und sich darin von ihm angesprochen fühlen: Den Palästinensern wünsche ich schon hier und jetzt ein Osterfest, in dem sie der Herr hinter ihren Mauern mit Frieden und Gerechtigkeit anspricht und sich so zu erkennen gibt. Den Israelis wünsche ich schon hier und jetzt ein Osterfest, in dem der Herr ihnen das ständige Gefühl der Bedrohung und Lebensgefahr nimmt und sie darin anspricht. Und den Trauernden wünsche ich eine alle Not lindernde Ostererfahrung, indem auch sie auf den In-Ordnung-Bringer treffen. Er möge den Blick dieser Menschen in eine andere Richtung wenden, auf dass sie IHN erkennen und Trost erfahren.

Die letzte Szene unseres Auferstehungsberichts bringt das Zwiegespräch zwischen Jesus und Maria. Jesus sagt: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater“. Offenbar will Jesus ein Missverständnis korrigieren, das er bei Maria vermutet. Sie nennt ihn „Rabbuni“, was die Bezeichnung für einen theologischen Lehrer in Israel ist. Also meint sie, dass Jesus wieder ins Leben zurückgekehrt sei, um seine Tätigkeit fortzusetzen. Deshalb das schroffe und abweisende Wort Jesu. Er will damit deutlich machen, dass er schon auf dem Weg in eine andere Welt ist, und dass diese Auffahrt künftig ein anderes Wirken zur Folge hat, als sein bisheriges. In der Tat waren Ostern und die dazu gehörende Himmelfahrt in der ersten Christenheit nur ein Fest und wurden nicht um 40 Tage auseinandergerissen. Die Auferstehung war immer gleichzeitig auch die Inthronisation des Gottessohnes im Himmel. Der Gottessohn sitzt also seit seiner Auferstehung zur Rechten des Vaters.

Deshalb bleiben Ostererfahrungen auch nicht auf Maria beschränkt. Wir vertrauen diesem Auferstandenen, dass er in dieser Welt herrscht. Wir vertrauen, dass er Schicksale wenden und verändern kann. Wir vertrauen, dass auch wir, wenn wir einmal verstorben sind, das Schicksal dieses Auferstandenen teilen werden. Dieser Glaube und dieses Vertrauen wären nicht möglich, wenn Ostern an uns spurlos vorübergegangen wäre. Nur, weil wir immer wieder, an großen oder winzigkleinen Zeichen den Gärtner und Weltenherrscher erkennen, und weil wir diese Zeichen als Osterzeichen deuten dürfen, trauen wir dem Auferstandenen dieses letzte und alles wendende Osterfest am Ende der Tage zu. Und davon geben wir Zeugnis – wie auch Maria es tat.

Amen.      

Martin Steinbach