Liebe Gemeinde,
Rogate, betet, fordert uns der heutige Sonntag auf. Heute geht es um das Gebet und deshalb wollen wir es ganz an den Anfang dieser Predigt stellen:
Liebe Gemeinde,
wo haben wir das Beten eigentlich gelernt? Vielleicht haben wir schon als Kind ein Abendgebet vor dem Einschlafen gesprochen? Müde bin ich geh, zur Ruh, schließe meine Augen zu. Vater lass die Augen dein, über meinem Bette sein.
In der Schule mussten wir dann das Vaterunser lernen. Im Konfirmationsunterricht den Psalm 23.
Aber haben wir damit wirklich schon das Beten gelernt? Wir haben Texte auswendig gelernt und sie aufgesagt. Aber war das schon Beten? Was ist das Beten? Und wie lernt man es?
Schon die Jünger haben Jesus das gefragt (Lk 11,1). Natürlich waren sie alle im jüdischen Glauben erzogen worden, so wie wir im christlichen. Sie kannten ihre Gebete in- und auswendig. Und doch müssen sie das Gefühl gehabt haben, dass da etwas fehlt.
Bei Jesus erlebten sie eine ganz neue Art des Umgangs mit Gott. Da war nicht die Unterwürfigkeit wie sie ein Soldat an den Tag legt, der vor einem General salutiert.
Da war nicht die Angst, die ein Untertan spürt, wenn er etwas ausgefressen hat, und seinem strengen König gegenübertritt.
Da war nichts vom Hokuspokus, den man bei Zauberern erlebt, die so tun als ob durch das bloße Aufsagen von schönen Worten etwas außergewöhnliches vollbringen würde.
Jesus hatte eine andere, eine neue, eine ganz vertraute Art, mit Gott zu sprechen. So nah, dass das für viele damals schon anstößig war. Er sagte nicht nur „Vater“ zu Gott. Jesus sagte: „Abba“, was so viel heißt wie bei uns „Vati“ oder „Papa“. Das war schon damals befremdlich – und das ist es genau genommen auch heute noch.
Lehre uns beten, bitten die Jünger Jesus. Seine Antwort ist das Vaterunser, das uns in der Bibel gleich zweimal bei Lukas und bei Matthäus überliefert wird. Ich lese den dazugehörigen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium im 6. Kapitel:
Wenn du betest, sollst du nicht beten wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen, damit sie gesehen werden. Wenn du betest, so geh in dein Zimmer, und nachdem du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Himmel ist ist, und dein himmlischer Vater, wird dich belohnen. Wenn du betest, sollst du nicht plappern wie die Ungläubigen; denn sie meinen, dass sie erhört werden, weil sie viel Reden. Sei ihnen nicht gleich; denn dein Vater weiß bereits, was du benötigst, ehe du ihn bittest. Bete so: Unser Vater, im Himmel, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Ich breche hier nicht ab. Der Schlusssatz „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ ist tatsächlich eine spätere Ergänzung zum Vaterunser. Es fällt auf, dass mit diesem Schlusssatz eher abstrakte Begriffe aneinandergereiht werden, während Jesus ziemlich lebensnahe Bitten formulierte.
Beten ist laut Jesus ganz einfach. Es braucht nur ein wenig Stille, d.h. ein Bereich, der für diesen Moment nur uns und Gott gehört. Und es braucht ein Herz, das sich öffnet vor und für Gott. Mehr braucht es eigentlich nicht. Es braucht beim Gebet nicht einmal Worte!
Beten ist ganz einfach und es tut gut. Die positiven Wirkungen des Gebetes sind bekanntlich durch zahlreiche Studien belegt. Betende Menschen sind in der Regel gesünder und zufriedener und leben länger als andere.
Seltsam, dass das Gebet bei vielen Menschen dennoch eine Art Schattenexistenz führt. In Notzeiten wird es gepflegt. Not lehrt beten heißt es treffend. In Krisenzeiten wie jetzt beten sogar Menschen, die gar nicht an Gott glauben. In normalen Zeiten aber kommen viele Menschen nicht dazu.
Manche haben das Beten verlernt. Sie haben mit dem Kinderglauben auch das Beten abgelegt. Anderen ist es peinlich vor oder mit anderen zu beten. Es ist ja auch eine ganz persönliche Sache und braucht einen Vertrauensraum.
Es gibt also gute Gründe für das Beten und es gibt auch Gründe, warum manche Menschen sich dennoch damit schwer tun. Auch in unserem heutigen Bibeltext wurden zwei Fallen genannt, die ein echtes, authentisches Beten verhindern.
Jesus sagt: bete nicht wie die Heuchler. Das erste was beim Beten passieren kann ist, dass es nicht darum geht, dass ein Mensch mit Gott redet, sondern darum, dass andere Menschen es sehen und hören. Jesus warnt seine Jünger davor an den Straßenecken zu stehen und zu beten.
Diese Gefahr scheint mir in unserer Zeit recht gering zu sein: Dass jemand an der Bushaltestelle betet habe ich noch nicht erlebt. Aber beim freien Beten in einer kleinen Gruppe kann es schon geschehen, dass man weniger mit Gott spricht, und mehr versucht sich gegenseitig zu beeindrucken. Deshalb beten in unseren Gottesdiensten Pfarrer, Prädikaten oder Lektoren im Auftrag der Gemeinde. Nicht weil die es am besten Beten könnten, sondern, weil sie versuchen für uns alle zu sprechen.
Jesus sagt: Wen du betest, sollst du nicht plappern. Die zweite Falle ist diese: Das Gebet ist zwar ganz gut gemeint, aber es hat keine Tiefe. Wir reihen belanglose Worte aneinander und plappern mit vielen Worten vor uns hin.
Jesus sagt uns, dass die Menge der Worte oder die Menge der Zeit, die man im Gebet verbringt nicht entscheidend sind. Das Entscheidende beim Beten ist auch nicht die Technik: stehend oder kniend, laut oder leise, gefaltete Hände oder nicht.
Wichtig ist nur, dass die Worte von Herzen kommen. Lieber wie beim orthodoxen Herzensgebet ein Wort von Herzen als viele Worte ohne Ende. Wer täglich all die Gebete aufsagt, die er als junger Mensch eingetrichtert bekommen hat, ohne sie sich zu Herzen zu nehmen, der macht nichts schlechtes, hat aber noch Potential. Beten heißt nicht oberflächlich plappern, sondern Worte wählen, die in der Tiefe unseres Seins Gott selbst erreichen und so wirken können.
Jeder von uns hat seine eigenen Erfahrungen mit dem Beten in diesen Gottesdienst mitgebracht. Jeder von uns kann Beten. Wir wissen um die Kraft eines Gebetes. Und wir wissen, dass wir uns beim Beten in Gottes Arme fallen lassen können. Wir wissen auch, dass wir anschließend nicht die Hände im Schoß liegen lassen sollen nach dem Motto: Gott wird’s schon richten. Beten heißt nicht, alles was in der Welt passiert in die Verantwortung Gottes abzuschieben.
Beten heißt Kraft zu tanken für Dinge, die wir ändern können, Vertrauen aufzubauen, um Dinge loszulassen und Ruhe zu finden um das eine vom anderen zu unterscheiden.
Das wird uns umso besser gelingen, umso mehr wir beten. Mit dem Beten ist es wie mit allem: umso mehr man übt, umso besser gelingt es. Das Modewort vom lebenslangen Lernen gilt auch für das Gebet.
Wir verändern uns ein Leben lang und mit uns auch unsere Gebetspraxis. Wichtig ist, dass wir dran bleiben: im Gottesdienst und daheim im stillen Kämmerchen. Mit eigenen Worte oder mit bewährten althergebrachten z.B. aus dem türkisen Teil in unserem Gesangbuch.
Mit dem Gebet haben wir einen großen Schatz. Holen wir diesen Schatz immer wieder in unser Leben!
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ AMEN