Liebe Gemeinde,
Jesus ist etwa 30 Jahre alt. Lebte bis dahin in Nazareth, als
Bauhandwerker (tektown), und beabsichtigt nun, unter die Leute zu
gehen, um ihnen mitzuteilen, was ihm wichtig geworden ist im Blick
auf das eigene Leben, auf den Umgang der Menschen untereinander,
und auf die Beziehung zu Gott.
Doch bevor er damit öffentlich in Erscheinung tritt, lässt er sich taufen.
Von Johannes. Im Jordan.
Und kurz darauf dies, was wir eben gehört haben, aus der Feder
eines gewissen Matthäus. Diese dramatische Geschichte. Seine
Versuchung. In der Wüste.
Die Wüste Juda, eine steinige Gebirgswüste, mit steil abfallenden
Hängen, teilweise bis zu 600 Meter tief, dazwischen zahlreiche Wadis,
also ausgetrocknete Flussläufe.
Die Wüste Juda: Kein Ort zum Leben, eher ein Ort zum Davonlaufen,
garantiert lebensfeindlich, tagsüber wahnsinnig heiß, nachts erbärmlich
kalt, kein Wasser, weniger als 5 % der Fläche mit Vegetation bedeckt,
ein Ort, den man auch als Tourist gern wieder verlässt.
Und dahin, in diese lebensfeindliche Gegend geht Jesus, bevor er zu
den Menschen geht. Allein. Dahin geht er.
Nein. Dahin wird er geführt. Ja, wie denn, von wem denn? – 2 –
Vom pneuma, sagt Matthäus, wird Jesus in die Wüste geführt. Pneuma,
aus dem Griechischen übersetzt der Lufthauch, der Wind, aber auch die
Laune, der Beweggrund, der Atem, die Lebenslust, die Seele, der Geist,
die Gesinnung, die Stimmung, auch die Begeisterung.
Wie auch immer, was auch immer. Jesus geht in die Wüste. Ein
Rückzugsort, an dem er sein weiteres Leben überdenken, ordnen will.
Ja, in der Wüste kann ich den Tod finden. Das ist die eine Wirklichkeit.
Und: In der Wüste kann mich das Leben finden. Das ist das andere.
Als ich mit einer Reisegruppe mal dort war, rief mich später der Sepp an:
Weißt, Ludwig, da in der Wüste Rum, da hätt ich länger sein können: Die
absolute Stille, das Nichts. Das war umwerfend: Nur in sich
hineinhorchen, bis du die Botschaft hörst, die Sprache verstehst, die
Wahrheit findest, die dich zum Leben befreit.
Solch eine Wüstenerfahrung kann freilich auch zu einer ganz wüsten
Erfahrung werden. Die Hitze am Tag, die Kälte in der Nacht, der Durst,
der Hunger, vielleicht auch die Angst. – Und das 40Tage. Geht das? Ich
denke wohl kaum.
Aber vielleicht geht es Matthäus gar nicht um exakt 40 Tage. Lebte
und schrieb er doch sein Evangelium etwa 60 Jahre nach Jesus.
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Wollte vielleicht, wie ich vermute, auf etwas anderes hinweisen. Wollte
erinnern an Mose, von dem es heißt, er habe 40 Tage lang gefastet, als
er Gottes 10 Gebote erhielt, oder der Prophet Elia, der unterwegs von
Gottes Engeln versorgt wurde, 40 Tage und Nächte, so hat er überlebt.
Und Jesus erlebt nun wohl ähnliches. 40 Tage fasten.
Nein, nicht das, was wir normalerweise unter „Fasten“ verstehen:
abnehmen, auf etwas verzichten.
Das Wort „Fasten“ kommt aus der alten germanischen Sprache
und bedeutet: etwas „fest machen, schließen, beschließen, sich
entschließen“.
Im Englischen wird es noch heute so verwendet, z.B. im Flugzeug
vor dem Start: „fasten your seat belt“, also: schnallen sie sich an,
machen Sie Ihren Sitzgurt fest.“
Jesus fastet in der Wüste. Nein, er geht nicht in die Wüste, um nichts zu
essen und abzunehmen. Garantiert nicht. Und dass er nach so langer
Zeit hungert, ist auch ganz klar.
Vielmehr will er eine Zeit lang für sich allein sein, um Klarheit für seinen
künftigen Lebensweg zu gewinnen, will fasten, also etwas fest machen,
einen Entschluss fassen. Was ist wichtig für mich, wie gestalte ich mein
Leben, welche Botschaft habe ich für meine Mitmenschen.
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Auch für ihn gilt zweifelsohne Ingeborg Bachmanns Erkenntnis: „Das
ganze Leben ist der Versuch, es zu erreichen.“ Oder wie Luther sagte:
„Das Leben ist nicht ein Sein, sondern ein Werden.“
So auch wir. Wir sind nicht am Ziel. Wir sind unterwegs. Tag für Tag.
Jeder Tag kann anders aussehen. Kann uns mit Neuem beglücken.
Kann uns in ungewohnte Landschaften bringen, vor neue
Herausforderungen stellen, die uns bisweilen an unsere Grenzen
bringen.
Wir könnten sagen, liebe Gemeinde: Die Wüste ist ein Bild für den Ort,
wo ich an meine Grenzen komme. Ganz wüste Erfahrungen können das
sein. Es gibt Tage und Orte in meinem Leben, wo ich meine, da geht’s
nicht mehr weiter. Ich bin am Ende. Wo ich ganz durcheinander bin.
Und bisweilen scheint es, als hätte der Teufel seine Hand im Spiel.
Von Paul Tillich, einem mir sehr bedeutsamen theologischen Lehrer, hab
ich gelernt: „Die Grenze ist der eigentliche Ort der Erkenntnis“ – Da, wo
mir ein Licht aufgeht. Vielleicht. Hoffentlich.
Wo der Mut zu sich selbst, und das Vertrauen in die Zukunft wieder
wächst.
Bisweilen kommen bei ausweglos erscheinenden Grenzsituationen aber
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auch ganz abenteuerliche Wünsche und Sehnsüchte zu Tage, die ich,
tief verborgen in mir trage. Ja, bisweilen sind solche Herausforderungen
geradezu Versuchungen.
So wie auch Jesus in der Wüste drei Versuchungen ausgesetzt war.
Nach einigen Takten der Musik will ich diesen Versuchungen
nachgehen – bei ihm, bei uns.
Nun die erste Herausforderung Jesu in der Wüste: Nach 40 Tagen
hungert ihn.
Hunger – eine ganz wüste Grenzerfahrung: Wenn mir das Nötigste
zum Leben fehlt, wenn das Geld nicht mehr reicht für das tägliche Brot
und für das, was nötig ist wie Brot.
Wir alle hier sind in der glücklichen Lage, nicht hungern zu
müssen. Aber, es gibt auch das andere. Weltweit haben über 690
Millionen Menschen nicht genug zu essen und hungern.
30-40 Millionen sterben jährlich an Hunger- vor allem Kinder unter
5 Jahren.
Doch das gibt’s auch bei uns, dass Menschen durch ihre Arbeit weniger
verdienen, als sie zum Leben brauchen. „Die Armut in Deutschland“, so
eine Studie „nimmt zu.“
Und die Steigerung von arm, wie ich es in einer Berliner Zeitung las, ist
„Arm- ärmer – Berlin“.
Ein Teufelskreis, der sich da, auch bei uns, auftut. – 6 –
Ich kann es verstehen, dass da einer auf die Idee kommt, wie bei Jesus,
aus Steinen Brot zu machen
Aus Nichts Geld, den Hunger durch Zauberei zu stillen. Und wenn es
nicht anders geht, sich, auf Teufel komm raus, das Nötige zum Leben
zu holen von dem, der es im Überfluss hat.
Auch wenn ich es verstehen könnte. Mit Leben hat das nichts mehr zu
tun. Und mit der Würde des Menschen schon gleich gar nicht. Es muss
doch anders gehen. Um Gottes Willen.
Jesus widersteht dieser Versuchung mit dem Hinweis auf ein Wort aus
dem 5. Buch Mose (8,3) „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern
von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ – Was für ein
Glaube, was für eine Nähe zu Gottes Wort in der Thora, was für eine
Perspektive für sein Leben.
Nun die zweite Versuchung, der Jesus ausgesetzt ist:
Die Versuchung, das Bedürfnis, die Sehnsucht des Menschen, vor
anderen gut da zu stehen, etwas Besonderes sein zu wollen, aus
welchen Gründen auch immer.
Denen will ich es zeigen. Ich mach mal etwas ganz Außergewöhnliches,
was Verrücktes. Die werden staunen.
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So etwas Verrücktes, Absurdes, hören wir bei Matthäus, eine geradezu
teuflische Einflüsterung:
Spring runter von der Zinne des Tempels in Jerusalem. Du weißt doch:
„Die Engel Gottes werden dich auf den Händen tragen. Es wird dir
nichts passieren.“ (Ps.91,11) Ja, die Leute unten, die werden staunen.
Wer kennt sie nicht, die Versuchung, vor anderen etwas Besonderes
sein zu wollen. Und wenn es noch so riskant ist. Wird schon gut gehen.
Mit dem Motorrad auf der Sudelfeldstraße, oder am Kesselberg
hinauf- oder hinunterbrettern. Oder, wenn es wieder erlaubt ist,
dasselbe auf den Skipisten. Es gibt so viele gefährliche Momente,
über seinen Verhältnissen zu leben.
Doch das hat mit Vertrauen nichts zu tun. Das hieße vielmehr: Gott
versuchen.
Auch wenn ich es verstehen könnte. Bei aller Faszination. Mit Leben hat
das wohl kaum etwas zu tun. Mit der Würde des Menschen schon gleich
gar nicht. Es muss doch anders gehen. Um Gottes Willen.
Und nun die dritte Versuchung, der sich Jesus gegenüber sah.
Es geht um Macht. Um Machtansprüche. Es geht um die Reiche der
Welt und ihre Herrlichkeit. Es geht um die Gier, immer mehr zu besitzen,
an Reichtum, an Vermögen, an Grundstücken, an Aktienanteilen, an
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Ansehen, an Einfluss. Um dann zu bestimmen, wo es lang geht.
Wie im Großen, so auch im Kleinen: Zu Hause im privaten Bereich, am
Stammtisch, in Firmen. In der Welt, und bei uns in Bayern. Manchmal
ist’s eine Regierung, eine Partei, manches Mal ein einzelner Despot,
manches Mal ein gescheiterter Präsident.
War doch alles schon da: Diese wahnsinnige und wahnwitzige
Globalisierung der eigenen Ansprüche. Bei uns Deutschen vor gut 80
Jahren. Diese Selbstherrlichkeit, diese Machtansprüche, damals und
heute an allen Ecken der Erde. Und wie es teuflischer nicht sein kann,
was zur Zeit unter diesem Anspruch in der Welt geschieht: Alles kannst
du haben, wenn du niederfällst vor mir und mich anbetest.
In der Sprache der Wirtschafts- und Finanzbosse vor allem der
westlichen Welt steht ein Ausspruch des Weltbankiers David
Rockefeller: „Alles, was wir benötigen, ist die eine richtig große Krise,
und die Nationen werden die neue Weltordnung akzeptieren.“
Nein, das alles kann ich nicht mehr verstehen. Mit Leben hat das alles
nichts mehr zu tun. Und mit der Würde des Menschen schon gleich gar
nicht. Es darf doch so nicht gehen. Es muss anders gehen. Um Gottes
Willen. Die Antwort Jesu auf diese Hybris von Macht „Du sollst anbeten
den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“
So weit die Position Jesu.
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Und wir sind in seiner Nachfolge gefragt: Was wollen wir eigentlich?
Wofür entscheiden wir uns. Was wollen wir fest machen für unser
Leben? Wie sieht unser Fasten aus?
Die Antworten werden natürlicherweise sehr unterschiedlich ausfallen.
Ich denke, da braucht es den grundsätzlich anderen Ansatzpunkt. So
wie bei Jesus, den die Tradition und seine Eltern nicht nur in den
Tempel, sondern – tiefer- zur Thora, zum Wort Gottes hingeführt haben.
Zuerst: So sehr du es auch brauchst , bedenke: „Du lebst nicht vom Brot
allein. Du lebst auch, vielleicht vor allem, von Gottes Wort.“
Und dann: Mit dem, was du vorhast und tust: „Versuch nicht, Gott auf die
Probe zu stellen.“
Und schließlich: Fall nicht auf die Knie vor dem , was nach Macht und
Reichtum aussieht. In allem und vor allem: „Bete Gott an, gib ihm die
Ehre.“
Du wirst erfahren: Auch wenn du meinst, am Ende zu sein: Du bist nicht
allein. Mach dich auf den Weg, mach es wie er, und du wirst erfahren:
Die Engel unseres Gottes, sie werden dir dienen. Engel, die bisweilen
das Gesicht des Menschen neben dir tragen.
Amen.
Ludwig Scherer
Gottesdienst in Lenggries
21.2.21