Predigt für den 22. November 2020

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Heute ist der Totensonntag. Ganz egal, ob wir im letzten Jahr einen lieben Menschen verloren haben oder ob wir so davon gekommen sind, heute wird uns allen der Tod zugemutet. Am letzten Sonntag des Kirchenjahres werden wir aufgefordert uns mit dem Tod zu beschäftigen.

Manche von uns haben das in den vergangenen Monaten mehr als genug gemacht. Sie haben intensiv das Sterben einen Angehörigen begleitet, manchmal über die eigenen Kräfte hinaus. Andere verdrängen lieber jeden Gedanken an das Sterben und den Tod, v.a. jeden Gedanken an den eigenen Tod. Das ist völlig okay. Manchmal tut es zu sehr weh, manchmal ist die Angst zu groß, manchmal überfordert uns dieses Thema.

Und doch lässt sich das Thema nicht völlig ausblenden. Der Tod ist vom Tag unserer Geburt an Teil unseres Lebens. Unserem Leben würde etwas Wichtiges fehlen, wenn es den Tod nicht gäbe.

Die Beschäftigung mit dem Tod ist früher oder später unausweichlich und dann für die meisten Menschen gar nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Das Nachdenken über den Tod nimmt in der Regel sogar die Angst vor dem eigenen Tod.

Manch einer mag sich dennoch dagegen wehren mit dem Argument, dass wir doch gar nichts über den Tod wissen können, denn wenn man tot ist, ist man tot.

Das stimmt. Und doch gibt es seit Urzeiten in uns Menschen etwas, eine Hoffnung, eine Ahnung, ein Gefühl, manchmal sogar eine Gewissheit, dass auch der Tod nicht das Ende von uns ist. Vielleicht einfach, weil es noch schwerer ist sich vorzustellen, dass da nichts ist als das da noch irgendetwas kommt.

Was kommt nach dem Tod? Klar, der Bestatter, der Pfarrer und die Beerdigung. Aber lebt da noch irgendetwas von uns weiter?

Auch der Predigttext für diesen Sonntag bringt uns da keine völlige Klarheit. Es ist ein Abschnitt aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung. Das ganze Buch ist weniger ein Tatsachenbericht und mehr eine himmlische Vision. Mein Namenskollege Johannes, nicht zu verwechseln mit dem Evangelisten Johannes und auch nicht mit dem Jünger gleichen Namens, schrieb die Offenbarung um verfolgten Christen um das Jahr 100 nach Christus Mut zu machen. Johannes benutzt in seinem Buch viele symbolische Bilder, die heute nicht leicht zu deuten sind. Deshalb wird die Offenbarung nur selten gelesen. Ganz anders verhält es sich mit einem Abschnitt aus dem 21. Kapitel. Es ist einer der beliebtesten Texte der ganzen Bibel und wird nicht selten auch bei Trauerfeiern gelesen. Dort heißt es:

1 Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.

2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!

6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Eigentlich könnte dieser Text für sich stehen. Vielleicht wäre es das Beste diese Worte jetzt 10 Minuten schweigend zu meditieren. Aber ganz so einfach kann ich mein Geld ja auch nicht verdienen.

Es sind großartige Bilder, die Johannes da in unsere Köpfe malt. Eine ganz neue Welt, darin das neue Jerusalem, wie eine Braut geschmückt. Mitten in der Stadt die Hütte Gottes und Gott selbst, der uns die Tränen abwischt.

Das hört sich an wie die Happy End Szene eines Films. Vielleicht ist diese Szene auch deshalb so schön, weil unsere Realität manchmal ganz anders aussieht. Unsere Welt ist nicht neu, sondern immer mehr verbraucht. Jerusalem gleicht weniger einer hübschen Braut und mehr einem zanksüchtigem Weib. Gott erscheint uns manchmal nicht nah, sondern ganz weit weg zu sein. Und die Tränen hören bei einigen Trauernden gar nicht mehr auf zu fließen.

„Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ Noch ist das alles nur ein Traum. Und doch sind diese Bilder auch heute schon hilfreich, denn sie helfen uns mehr zu sehen als nur den Tod.

Es gibt Menschen, die meinen, solche Visionen seien nichts anderes als weltfremde Träumereien. Schon Karl Marx nannte Religion insgesamt „Opium fürs Volk“, weil sie durch Jenseitsvertröstung, die Menschen davon abhalten ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ist Glaube nur eine Wunschvorstellung? Oder ist es vielmehr eine Wunschvorstellung, dass es Gott nicht gibt? Die Argumente der Religionskritiker, lassen sich jedenfalls genauso gut gegen ihre eigenen Thesen anwenden.

Den Apostel Johannes interessierte so eine theoretische Debatte nicht. Er hatte anderes zu tun. Er nahm die Menschen mit ihrem Schmerz ernst. Er wollte und konnte ihnen das Leid nicht weg reden. Er sagte ihnen auch nicht, dass alles halb so schlimm sei, dass sie alles bloß vergessen müssten oder dass die Zeit alle Wunden heile. Er forderte sie nicht auf, sich doch zusammen zu reißen. Er nahm die Hoffnungslosigkeit und Mutlosigkeit vieler seiner Mitmenschen wahr. Er sah die Tränen, den Schmerz und auch die Todesangst. Dieser brutalen Wirklichkeit stellte er seinen Traum von einer neuen Welt gegenüber.

In seiner Vision malt Johannes nicht nur flauschige Einhörner auf einem Regenbogen. Da ist die Rede von Tränen, von Schmerz und vom Tod. Johannes blendet in seiner atemberaubenden neuen Wirklichkeit das Leid nicht einfach aus. Die Spuren des Todes sind noch wahrzunehmen. Und gleichzeitig wird in seiner Vision die kaputte Welt nicht nur repariert, da entsteht etwas völlig Neues.

„Siehe, ich mache alles neu.“, sagt Gott höchstpersönlich. Mit diesen Worten ergreift Gott selbst das Wort im letzten Buch der Bibel.Alles soll neu werden. Das heißt, dass unser altes Denken mit seinen alten Wörtern nicht den Hauch einer Chance hat, um das, was da kommen soll, zu beschreiben.

Dennoch: So stark diese Szene auch ist, ich weiß nicht, ob diese Worte bei einer Trauerfeier immer durchdringen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man als Trauernder manchmal nicht viel von einer Trauerfeier mitbekommt, weil die Trauer einen abschirmt wie eine Glasglocke.

Es ist unmöglich einem Blinden seine Lieblingsfarbe zu zeigen, einem Tauben eine ganze Symphonie hören zu lassen und eben auch einem Trauernden Gottes neue Welt spüren zu lassen. Dennoch ist sie schon jetzt da. So sagte es zumindest Jesus. Das Reich Gottes kommt und gleichzeitig ist es schon mitten unter uns. Auch dann, wenn wir das nicht glauben können.

Gottes neue Welt ist schon jetzt da und wird heute sichtbar hier in unserer Gemeinde, wo wir uns an die Seite der Trauernden stellen. Wir werden nach diesem Gottesdienst wieder alle unsere Wege gehen. Das Leben und auch die Trauer werden weitergehen. Aber für einen Moment sind wir eine Gemeinschaft. Die, die in diesem Jahr einen lieben Menschen verloren haben, die, die das schon vor Jahren erleben mussten und auch die, die noch gar nicht wissen, was im nächsten Jahr auf sie zukommt.

Wir sind eine Gemeinschaft der Mitleidenden und Mittrauernden und auch der Sterblichen

Deshalb reichen wir uns heute symbolisch die Hände. Es tröstet, nicht allein zu sein. Niemand muss am Tod verzweifeln, wenn sich die Lebendigen ihm zuwenden.

Aber noch tröstlicher als die Erkenntnis, dass jedes Haus ein Trauerhaus sein kann, ist die Hoffnung, dass wir – bildlich gesprochen – einmal in Häusern wohnen werden, zu denen der Tod keinen Zutritt mehr hat, wo er Hausverbot hat.

Der Traum von Johannes, der Traum von Gottes neuer Welt ist noch lange nicht ausgeträumt. Diesen Traum träumen wir heute noch. Deshalb reden wir nicht nur vom Totensonntag sondern auch vom Ewigkeitssonntag. Dieser Name sagt uns: Unsere Verstorbenen sind nicht nur tot, sondern in der Ewigkeit.

Unser Leben ist nach dem Tod nicht aus und vorbei, irgendwann vergessen und damit erledigt. Nein, es ist aufgehoben in Gottes Ewigkeit.

Deshalb müssen wir auch nicht ewig trauern. Wir dürfen die Erinnerungen festhalten, wir müssen das alte Leben loslassen und wir können uns ausstrecken nach Gottes neuer Welt. Amen.

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ AMEN