Predigt für den 28. Juni 2020

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Liebe Gemeinde,

heute sieht die Predigtordnung vor, dass wir uns mit einem Text aus dem Prophetenbuch Micha beschäftigen. Micha ist einer der sogenannten zwölf kleinen Propheten. Klein bezieht sich dabei nicht auf die Körpergröße, sondern auf den Umfang des biblischen Buches. Eigentlich ist es übertrieben bei den kleinen Propheten überhaupt von einem „Prophetenbuch“ zu sprechen, denn im Gegensatz zu Jesaja, Jeremia und Ezechiel sind uns von den kleinen Propheten jeweils nur ein paar Kapitel überliefert.

Micha teilt das Schicksal aller kleinen Propheten, dass sie uns im Gottesdienst eher selten begegnen. Und doch sticht Micha aus der dieser Prophetenschar heraus, denn wenn er uns begegnet, dann meistens so eindrücklich, dass das hängen bleibt.

Es sind v.a. drei Stellen, für die Micha bei uns heute noch bekannt ist:

– Da ist zum einen der Wochenspruch für den 20. Sonntag nach Trinitatis: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Mi 6,8)

Wer sich als Konfi diesen Vers als Konfirmationsspruch aussucht, hat seit Jahrhunderten eine sehr gute Wahl getroffen.

– Der zweite Spruch Vers aus dem Michabuch, den jeder kennt ist das Symbol der Friedensbewegung: Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharren und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben. (Mi 4,3).

Dieser Spruch wurde sogar in Bronze gegossen und steht als Statue im Garten der UNO in New York.

– Der dritte Vers aus der Reihe best of Michabuch begegnet uns als alttestamentliche Lesung am Heiligen Abend: Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. (Mi 5,1)

Viele Bibelwissenschaftler sind der Überzeugung, dass Matthäus und Lukas die Geburt von Jesus wegen diesem Vers in Bethlehem ansiedeln.

Über diese drei Verse hinaus ist noch erwähnenswert, dass Micha im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt hat und damit ein Zeitgenosse von Jesaja war. Damals ging Israel Schritt für Schritt seinem Untergang entgegen. Das Großreich aus der Zeit von David war längst zerfallen und das Reich wurde von feindlichen Großmächten immer weiter bedrängt. Micha sah wie seine Kollegen die Ursache für den schleichenden Untergang im Abfall vom rechten Glauben und klagte mit scharfen Worten die sozialen Missstände an.

Ein scharfer Kontrast zu dieser Unheils-Botschaft ist unser heutiger Predigttext. Micha konnte nämlich auch ganz versöhnliche Töne anschlagen. Micha konnte seine Zeitgenossen verbal abwatschen um sie zur Besinnung zu rufen. Micha verstand es aber fast noch besser die niedergeschlagenen Menschen mit seiner Heils-Botschaft wieder aufzurichten. Das absolute Glanzstück seiner Heilsbotschaft ist unser heutiger Predigttext. Wir hören aus dem 7. Kapitel:

18 Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! 19 Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. 20 Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.

Liebe Gemeinde, eines muss ich noch nachtragen: Der Name Micha bedeutet „wer ist wie Gott?“ Und fast genau diese Frage stellt Micha zu Beginn unseres Predigttextes: Wo ist solch ein Gott?

Die Antwort auf seine Frage bleibt uns Micha schuldig. Es braucht gar keine Antwort. Diese Frage ist rein rhetorischer Natur. Solch einen Gott gibt nicht noch einmal. Für Micha gibt es eh nur einen einzigen Gott, und was für einen!

Micha preist seinen Gott. So ein Gott, der die Schuld vergibt, ist einmalig. Während Micha ganz begeistert ist, haut das heute Morgen keinen von uns aus den Socken. Dass Gott Schuld vergibt, das ist für uns nichts Neues. Fast täglich beten wir: vergib uns unsere Schuld.

Micha ist dennoch hin und weg von Gott. Denn er hat den ganzen Mist gesehen, den die Menschen damals angestellt haben. 

Aber sind wir da besser? Was würde Micha wohl zu uns sagen? Ist die Welt in den letzten Jahrhunderten besser geworden oder schlechter? Darüber ließe sich trefflich streiten.

Fest steht, dass wir nach wie vor ganz gewaltige Probleme in unserer Welt haben, auch wenn zum Teil ganz andere als zur Zeit Michas. Viele unserer Probleme sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind vom Menschen verursacht. Ganz egal, ob wir uns die Klimakrise, die Flüchtlingskrise oder die Coronakrise anschauen. Kein Mensch hat absichtlich diese Krisen ausgelöst und doch wäre es wohl vermessen zu behaupten, der Mensch habe damit nichts zu tun. Auch wenn der Zusammenhang manchmal gar nicht so offensichtlich ist, hilft leugnen nichts: wir sind schuldig. Denn auch wenn wir uns für das Klima, für Flüchtlinge und gegen Corona engagieren, sind wir doch Teil eines Systems, das diese Krisen mitbegünstigt.

Ein konkretes Beispiel: Wir sind alle entsetzt, dass in Brasilien derzeit der Regenwald, die grüne Lunge unserer Erde, so gnadenlos verheizt wird. Gleichzeitig regt sich niemand darüber auf, dass das Soja das auf den vormaligen Regenwaldflächen angebaut wird, in unserem Fleisch steckt.

Das moderne Leben ist komplex und unsere Schuld ist oft so nebulös, dass sie meistens nicht wirklich drückt. Ganz offensichtlich wird die Schuld, wenn ein einzelner einen Fehler mit fatalen Konsequenzen macht. Ein SUV-Fahrer, der aufs Handy schaut und die junge Familie im Kleinwagen über den Haufen fährt. Oder der Jugendleiter, der bei der Badeaufsicht nur Augen für die Jugendleiterinnen hat und nicht merkt, dass vor seinen Augen ein kleines Kind absäuft.

Ich weiß nicht, ob man nach so einem Vorfall nochmal seines Lebens froh werden kann. Ich mag mir all die Selbstvorwürfe, die Alpträume und das schlechte Gewissen gar nicht vorstellen. Man kann Gott nur danken, wenn einem so eine Tragödie bisher erspart geblieben ist.

Und man kann Gott danken, dass er auch da noch Vergebung für uns hat, wo nicht einmal wir selbst uns verzeihen können. Micha beschreibt die Gnade Gottes mit eindrücklichen Bildern: Gott trampelt unsere Schuld klein und wirft sie dann ins tiefste Meer, sagt er. Das Meer ist bekanntlich noch tiefer als der höchste Berg der Welt hoch ist. Ein für uns Menschen völlig unwirklicher Ort. Gott packt die Schuld also so weit weg, dass sie uns gewiss nicht mehr begegnet. Mittlerweile waren Menschen auch schon in der tiefsten Tiefsee. Insofern müsste man heute wohl sagen: Gott beamt die Schuld in ein anderes Universum.

Das ist eine tolle Botschaft. Aber gilt das auch noch im 21. Jahrhundert? Vergibt Gott auch uns oder lässt er uns mit vollem Bewusstsein in den Untergang rasen?

Es gibt immer mehr Stimmen, die die Zukunft der Menschheit kritisch sehen. Es sind die Unheilspropheten unserer Tage. Wir müssen sie wohl noch ernster nehmen, als wir es bisher getan haben. Aber wir dürfen uns auch nicht lähmen lassen wie die Schlange vor dem Kaninchen, so wie die Problemleugner unserer Tage.

Untergehen wird diese Welt eines Tages, sagen uns die Wissenschaftler, aber jetzt noch lange nicht. Und Micha sagt uns: Gott ist nicht nur gnädig, Gnade ist geradezu sein Wesen.

Zu Gnade und Vergebung gehört aber auch Reue. Das Bewusstsein für die Missstände ist längst in unserer Welt vorhanden. Auch das Handeln kommt hier und da langsam in Gang. Wir dürfen es nur nie vergessen, damit wir eines Tages auch die modernen Heilspropheten hören.

Für den Moment ist es gut zu wissen: Gott ist barmherzig, geduldig und gnädig, viel mehr als ein Vater es kann. Er warf unsere Sünden ins äußerste Meer, kommt betet den Ewigen an.

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ AMEN