Predigt für den 29. März 2020

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Sonntag Judika „Schaffe mir Recht“ (Ps 43)

Evangelium Markus 10, 35-45 „Vom Herrschen und Dienen“, Wochenpsalm 43, Wochenlied EG 76: O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß, oder EG 96: Holz auf Jesu Schulter,

Predigttext Hebräer 13, 12-14 (eigene Übersetzung)

12Darum hat Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, vor dem Tor gelitten. 13So lasst uns nun zu ihm herausgehen, vor das Lager als diejenigen, die seine Schmähung (er- bzw. mit-) tragen. 14Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die kommende suchen wir auf.

In Christus: unvermischt und ungtrennt

Liebe Gemeinde,

nur drei Verse hat der heutige Lehrtext. Aber sie sind voll der Heiligen Schrift. Auf den Tempel in Jerusalem wird genauso angespielt, wie auf die Stiftshütte; beides Wohnungen Gottes. Während in den Toren Recht gesprochen wird, ist die Stiftshütte oder der Tempel hinter den Toren ein kultischer Ort.

Menschliche Rechtsprechung und Religion sind räumlich voneinander getrennt und dennoch an einander angrenzend. Von außen betrachtet, führt der Zugang zum Kult durch die Rechtsprechung hindurch. Dort wird nach Wahrheit und Gerechtigkeit gesucht, sollte dies angezeigt sein und jemand ein Anliegen haben.

Der Beter des Wochenpsalms hat ein solches. Nach Luther ist es Christus selbst, der hier betet, der so beten kann. Er richtet sich an Gott, seine Sache zu führen, da er umringt ist von Feinden. Historisch ist das natürlich Unsinn. Das wusste Luther auch. Wenn er aber Christus mit diesen Worten beten lässt, dann sagt das etwas über Christus. Er erleidet Unrecht und vertraut ganz auf Gott. Erstes werden viele auch für sich in Anspruch nehmen. Aber wie ist es mit zweitem?

„Führe mich zu deinem Heiligtum“, so weiter im Psalm, ins Zentrum des Kultes also, bis hin zum Altar. Das ist der Ort, an dem der göttliche Ursprung von Wahrheit und Gerechtigkeit bezeugt wird, nicht der Ort der menschlichen Rechtsprechung. Im Gottesdienst wird das gefeiert, was gilt, was durch die Rechtsprechung nicht geschaffen, sondern bezeugt wird. Wenn nicht, verliert die Rechtsprechung im Tor ihren Halt.

Während nun die Rechtsprechung schwere Strafe für eine schwerwiegende Tat nach sich zieht, bezeugt das Opfer am Altar die geschehene Tat sinnlich. Sowohl die schwerwiegenden Strafen sowie Teile bestimmter Opferriten finden vor den Toren beziehungsweise ganz vor dem Lager bzw. Wohnbereich statt. Sie sind öffentlich. Die Heiligung des Volkes oder die Strafe, sowie bei Unrecht die Schmähungen sind beide ‚unter freiem Himmel‘, selbst, wenn das jeweilige „Draußen“ einmal vor den Toren des inneren Tempels oder ganz außerhalb des Wohnbereichs meint. Die Bewegung geht beim Ritus des Versöhnungstages (Lev. 16), der den Hebräerbrief leitet, von ganz innen nach ganz außen.

Dieses gleichzeitige Auftreten von Strafe und Heiligung an, in und durch Christus macht das Kreuz im theologischen Nachdenken aus. In weltlicher Sicht, müsste das eine das andere ausschließen oder müsste das eine mit dem anderen instrumentell verknüpft werden. Entweder Heiligung oder Schmähung, oder: die Schmähung dient der Heiligung.

Beide Vereinfachungen hat es in der Geschichte der christlichen Religion bis heute gegeben und wird es auch weiterhin, aller Voraussicht nach, geben. An Christus wird aber offenbar: Gott erleidet die Rechtsprechung, wie bodenlos sie auch immer sei, und bleibt derjenige, der das Volk heiligt. Im Erleiden ist die Heiligung. Im Erleiden des Unrechts ist sein „Nein“ zu dem, was auch in der Welt ist: Das Unrecht wird sichtbar. In der Heiligung bleibt tragend das „Ja“ zu seiner Schöpfung; Nebeneinander und Miteinander von „Nein“ und „Ja“, ohne vermischt oder auf Linie gebracht zu werden.

Dieser Gedanke ist gar nicht so fremd oder abstrakt, wie man zunächst meinen könnte. In Christus erleiden Menschen Unrecht in Familie, Kirche und Staat. Sie führen den Kampf nicht bis ans äußerste und beten den Psalm 43 in Christus: „Führe du meine Sache …“ bis hin zum letzten Vers „… denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ In Christus und nicht aus sich selbst heraus!

Als menschliches Kalkül oder Prinzip ist das schlicht Wahnsinn oder Dummheit. Denn als Kalkül und Prinzip wird man immer der Verlierer sein. In Christus aber ist es Weisheit bis hin zur Stellvertretung. Diese kennen wir von unseren Großeltern und Eltern, sowie Lehrerinnen und Lehrern. Wir haben es gesehen. Es ist kein Ratschlag, wie man handeln soll, sondern: Von Gott geleitet handeln Menschen so, wie unverständig das von außen betrachtet auch scheint. Es ist befreiendes Ereignis: Torheit und Weisheit zugleich, ganz nach Paulus.

Amen.

Pfarrer Dr. Urs Espeel