Predigt für den 5. April 2020

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Kurzpredigt für Palmsonntag von Pfarrerin Elisabeth Hartenstein

Wochenpsalm: Psalm 69, in Auswahl:

2. Gott, hilf mir!

         Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.

3. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;

         ich bin in tiefe Wasser geraten,

         und die Flut will mich ersäufen.

4. Ich habe mich müde geschrien,

         mein Hals ist heiser.

         Meine Augen sind trübe geworden,

         weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.

14. Ich aber bete, Herr, zu dir zur Zeit der Gnade;

         Gott, nach deiner großen Güte

         erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

21. Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand,

         und auf Tröster, aber ich finde keine.

22. Sie geben mir Galle zu essen

         und Essig zu trinken für meinen Durst.

30. Ich aber bin elend und voller Schmerzen.

         Gott, deine Hilfe schütze mich.

Liebe Gemeinde,

Textfeld:

Vergangene Woche sind mein Mann und ich bei einem unserer täglichen Spaziergänge in Zeiten der Ausgangsbeschränkung an diesem Palmkreuz vorbeigekommen. Fast mannshoch lehnte es an einer Kapellentür in der Ortschaft Holz und zog meinen Blick auf sich: das aus trockenen Zweigen zusammengebundene Kreuz war mit immergrünem Efeu umwickelt und mit einem Herz aus Heu und einem Buchsbaumkranz geschmückt. Zusätzlich zierte es drei verschieden farbige Bänder. Neugierig geworden sah ich mir das Kreuz genauer an und entdeckte dabei die Beschriftung der Bänder: das gelbe Band, das sich um den ganzen Kreuzstamm zog, trug die Aufschrift Glaube, das rote um das Herz geknüpfte Band das Wort Liebe und die grüne Schleife des Kranzes das Wort Hoffnung. Wie von selbst ergänzten sie sich in meinem Kopf zu dem bekannten Vers aus dem 1. Korintherbrief (1. Kor 13, 13): „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Dieses persönlich gestaltete Palmkreuz angesichts der so schwierigen Zeit, die wir gerade durchleben, berührte mich zutiefst. Die Corona-Krise erschüttert unsere fest geglaubten Sicherheiten bis in ihre Grundfesten. Noch vor wenigen Wochen war es mir unvorstellbar, dass ein Virus die Macht haben könnte, unser gesellschaftliches Leben völlig über den Haufen zu werfen, bin ich doch mit der Überzeugung aufgewachsen, dass Seuchen der Vergangenheit angehören und die moderne Medizin uns vor ihrem Ausbruch selbstverständlich schützen könne. Die Nachrichten und Bilder aus den Krisenherden der Welt, die wir 24 Stunden am Tag über die Medien geliefert bekommen, bedrücken und machen Angst. Zur Zeit ist völlig offen, wie wir diese Krise überstehen, welche Opfer sie fordern und welche grundsätzlichen Veränderungen für unsere Welt und unser Zusammenleben sie mit sich bringen wird. Und ich spüre, wie für mich angesichts dieser vielen Fragen mein Glaube immer wichtiger wird. Der christliche Glaube verschweigt Angst und Verzweiflung ja gerade nicht, sondern verleiht ihr vor allen Dingen in den Psalmen eine Sprache (siehe oben). Besonders wichtig ist mir aber, dass Gott in Jesus Christus unser Leid nicht nur kennt und versteht, sondern selbst mitgetragen und durchlitten hat.

Im Sog der allgegenwärtigen Nachrichtenflut gerät die Passionszeit fast aus dem Blick, doch beginnt mit dem heutigen Palmsonntag die Karwoche – jene Woche, in der wir des Leidens und Sterbens Christi gedenken und an deren Ende wir Ostern feiern. Auch wenn wir diese Woche nicht in gewohnter Form mit Gottesdiensten, Andachten und Abendmahl gemeinsam feiern können und wir auf vieles uns Vertrautes und Liebgewordenes verzichten müssen, finden wir doch Möglichkeiten, der Passion Jesu zu gedenken, nicht nur im Internet, sondern möglicherweise auch bei unseren Spaziergängen: Das Palmkreuz ist nicht nur Ausdruck einer individuellen Frömmigkeit, sondern es mahnt uns, in dieser Krise unseren Glauben nicht zu vergessen: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Gerade angesichts der Ängste, die manchen von uns dieser Tage den Schlaf rauben, bleibt der Glaube, so sagt es Paulus. Es bleibt das Vertrauen, dass wir in Unsicherheit und Not, in Angst und Gefahr nicht von Gott verlassen sind. Dieser Glaube ist kein fester Besitz, sondern ein gefährdetes Gut. Glauben heißt nämlich nicht, dass man auf alle Fragen eine Antwort hat, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott Kraft schenken will, auch das Schwere zu bestehen. Glauben heißt darauf zu vertrauen, dass Gott in seinem Sohn unser Leben geteilt hat und darum unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Sorgen und Zweifeln kennt.

Es bleibt die Hoffnung – die Zuversicht, dass Gott auch dieser Krise ein Ende machen kann, dass wir uns und all unsere Lieben seinen liebenden Händen anbefehlen können.

Textfeld:  
Christus als „Lebensbaum“: Aus einer Holzschnittfolge um 1485. 
(Quellen: Bild: H. Sachs, E. Badstübner, H. Neumann, Erklärendes Wörterbuch zur Christlichen Kunst, Leipzig/Berlin o.J., 221)

Christus als „Lebensbaum“: Aus einer Holzschnittfolge um 1485. Quellen: Bild: H. Sachs, E. Badstübner, H. Neumann, Erklärendes Wörterbuch zur Christlichen Kunst, Leipzig/Berlin o.J., 221)

Und schließlich bleibt die Liebe. Diese Liebe hat Gott uns Menschen ein für alle Mal in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt, den er vom Tod ins Leben führte.

All dies finden wir auch in der Symbolik des Palmkreuzes wieder, das uns mit seinen immergrünen Blättern von Buchsbaum und Efeu auf die uralte christliche Verbindung von Kreuz und Lebensbaum verweist: Durch Jesu Tod ist das Kreuz zum Lebensbaum geworden, der uns die verschlossenen Pforten zum Paradies wieder öffnet.

Wenn wir in der kommenden Woche Jesu Leiden und Sterben gedenken, dann steht an ihrem Ende Ostern. In den Augen Gottes ist kein Tod ewig. Neues Leben ist möglich.

Fürbittengebet:

Ratlos sind wir, Gott,

und bringen unsere Ratlosigkeit vor dich.

In Sorge um unsere Angehörigen sind wir,

und wir bringen unsere Sorge vor dich.

Bedrückt sind wir,

und wir bringen unsere Angst vor dich.

Dankbar sind wir für alle Menschen, die uns Mut machen,

und wir bringen unseren Dank für sie vor dich.

Mitten hinein in unsere Angst schenkst du uns das Leben.

Du schenkst uns Musik, Gemeinschaft

und die Fürsorge unserer Freunde und Nachbarn.

Du schenkst uns Inspiration, Freundlichkeit und Mut.

Du schenkst uns den Glauben, die Liebe und die Hoffnung.

Dir vertrauen wir uns an – heute und morgen und an jedem neuen Tag. Amen.         

(Fürbittgebet der VELKD vom Sonntag Judika 2020)