Predigt für den 6. September 2020

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Markus 1, 40-42

Da kam ein Aussätziger zu Jesus, flehte ihn an, und fiel vor ihm auf die

Knie: „Wenn du willst, kannst du mich heil machen.“

Und er tat ihm leid.

Und Jesus berührte ihn mit der Hand: „Ich will’s tun. Du sollst gesund sein.“

Da schwand der Aussatz, und er wurde gesund.

In 3 Teilen, liebe Gemeinde, will ich mich dieser Begegnung nähern:

  1. Der Aussätzige und Jesus.
  2. Gut 1900 Jahre später. Die Geschichte der kleinen Edith Zierer.

und 3. Jesus und Covid 19

  1. Zur Geschichte des Kranken beim Evangelisten Markus

Der Kranke, ein Aussätziger, wie es heißt.

Er hatte Lepra. Das griechische Wort „lepros“  bedeutet „schuppig, rau“

Eine ganz schreckliche ansteckende Krankheit damals, diese älteste Infektionskrankheit (bei Mumien in Ägypten hat man sie festgestellt).

Sie beginnt mit Schüttelfrost, oft kommt es zur Gelbsucht, aber immer zu einer Hirnhautentzündung. Auf der Haut bilden sich fleckenförmige Herde, Fleisch und Knochen darunter beginnen zu faulen. Es kommt zu Knoten und Knollen im Gesicht, zu Lähmungen und Verstümmelungen.

Wer Lepra hatte, war dem sicheren Tod geweiht.

Ganze Ortschaften wurden im Mittelalter durch Lepra ausgelöscht.

( Heute kann diese Krankheit mit Chemotherapie erfolgreich behandelt werden.)

Aus Angst, angesteckt zu werden, wurden die Kranken in Höhlen eingeschlossen, in Lepratürme eingesperrt, oder, wie auf Kreta,

in der Nähe von  Hagios Nikolaos auf die Insel Spilonga verbracht.

Sie durften und konnte nicht mehr am Leben teilnehmen. Mit Leprakleidung und Leprarasseln mussten sie auf sich aufmerksam machen. Keiner wollte mit ihnen zu tun haben. Nur ja keinen direkten Kontakt. Um Himmels willen. Jeder floh, sobald er einen Aussätzigen

entdeckte.

Welch eine Krankheit, welche Ängste auf beiden Seiten, welche Verzweiflung, und aller Grund, zu resignieren.

Und dann dies:

Da kam ein Aussätziger zu ihm, zu Jesus, flehte ihn an, fiel vor ihm auf die Knie: „Wenn du willst, kannst du mich heil machen!“

Was für eine unglaubliche Unverfrorenheit , welch ein Mut, welches JA

zum Leben, welches Vertrauen zum Mitmenschen Jesus, was für ein Glaube, dass das Unmögliche möglich wird durch ihn.

Er durchbricht die Isolation, geht über Sanktionen und Verbote hinweg, verkriecht sich nicht in seinem Elend, nistet sich nicht ein in der Verzweiflung.

Er riskiert den ganz privaten und zivilen Ungehorsam.

Wirklich, ich muss ihn bewundern, den Mann, der da zu Jesus kommt.

Ja, ich denke schon, dass einer sein Elend kundtun muss, soll ihm

geholfen werden.

Wie manch einer zieht sich zurück, weint seine Tränen nach innen, bis die Seele sie nicht mehr fassen kann, und selbst krank wird.             Schluckt alles, frisst alles in sich hinein: „Ich bin ein hoffnungsloser Fall.

Mir  kann doch niemand helfen. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr.

Herr Scherer, ich bin jetzt 81 Jahre alt. Ich will nur noch sterben.“

Dies die eine Seite. Eigentlich unglaublich, ungeheuerlich.

Und dann die andere Seite: Ebenso unglaublich, ungeheuerlich.

Die Seite, auf der Jesus steht.

Er tat ihm leid. Und Jesus berührte ihn mit der Hand. „Ich will’s tun. Du sollst gesund sein.“

Er tat ihm leid. Es jammerte ihn. Man kann auch übersetzen: Es dreht sich ihm alles im Magen um.

Was für eine Unverfrorenheit, den Aussätzigen mit der Hand zu berühren, welch ein Mut, was für ein JA zum Leben bei Jesus, welche vertrauen in seinen kranken Mitmenschen, was für ein Glaube, dass das Unmögliche möglich wird durch ihn.

Er durchbricht die Isolation, geht über Sanktionen und Verbote hinweg, lässt es nicht zu, dass einer sich in seinem Elend verkriechen muss, und sich einnistet in seiner Verzweiflung.

Er riskiert den ganz privaten und zivilen Ungehorsam.

Wirklich, ich muss ihn bewundern, diesen Mann aus Nazareth.

Ja, ich denke schon, dass einer offen sein muss für das Elend, soll den

Menschen geholfen werden.

Wie manch einer zieht sich zurück, schaut weg, sieht  nicht die Tränen des anderen, spürt nicht seinen Schmerz, hört nicht die verzweifelten

Rufe dessen, der am Ende ist. Wo auch immer , in der Ferne und mitten unter uns.

Nein, ER schluckt nicht alles, will gar nichts schlucken. Dieser Mann aus Nazareth. Um Himmels und der Menschen willen.

Auch auf die Gefahr hin, dass er selbst in Gefahr gerät.

Und er ist in Gefahr geraten. In Todesgefahr.

Doch eben diese Konsequenz der Liebe bis zum Tod war die tiefe Begründung dafür, dass keiner mehr sagen muss: „Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Mir kann doch niemand helfen. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich will nur noch sterben.“

Keiner bräuchte dies mehr zu sagen, seitdem Jesus über die Erde gegangen ist. Seit Jesus es den Seinen mit auf den Weg gegeben hat:

Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch.

So begegnen sich der Wille des Kranken und der Wille Jesu.

Und was wollen sie beiden? Das Leben. Nichts anderes, nicht mehr- und nicht weniger.

  • Nun die Geschichte der kleinen Edith Zierer

Januar 1943. Vor 77 Jahren.

Edith Zierer,  das 10 Jahre alte, jüdische Mädchen,  unterwegs in einem Viehwaggon  in das Vernichtungslager  Auschwitz. Dass dort Menschen

ermordet, vergast werden, wusste sie nicht. Auch nicht, dass Kinder in diesem Lager durch Zwangsarbeit zu Tode kommen. Zwei Tage im Viehwaggon  ohne Essen und Trinken. Rund um sie sterben Kinder im Stehen. Dann endlich, der Zug bleibt stehen,  der Waggon wird von außen geöffnet.

Edith, dicht am Tor stehend, fällt dabei durch den Druck der anderen im Wagen nach außen, einem SS-Mann direkt vor die Füße.

Da hat der Soldat gesagt: „Was für ein Dreck ist da rausgefallen.“

Und die kleine Edith hat gesagt: „Ich bin kein Dreck. Ich heiße Edith Zierer, ich bin aus Katowitz.“

Was für ein Zufall: Der Soldat war ein Freund von ihrem Vater.

Nun hilft der SS-Mann Edith, so gut er kann, besorgt ihr Arbeit im Überlebenschancen im Werk A. Dort hat man Munition gemacht.

Sie hat dann an der Bohrmaschine gearbeitet. Fast zwei Jahre steht die kleine Edith auf einer Holzkiste an der großen Bohrmaschine, bohrt Granathülsen für den Krieg in Russland, schwerste Männerarbeit.

1945 wurde das Lager befreit. Völlig entkräftet und bei Minus 40 Grad, erzählt sie, ist sie damals auf eigene Faust raus aus dem herrenlosen KZ, in die nächste Bahnstation, wo sie die letzten Kräfte verlassen:

„Ich habe mir eine Ecke gesucht, habe mich da hingesetzt, bin zwei Tage so gesessen, ohne Essen und Trinken. Die Leute sind einfach vorbeigegangen. Niemand hat gefragt :‘Willst du was essen oder trinken?‘“

Ja, ich habe geglaubt: das ist das Ende. Doch dann, am Morgen, kam ein Geistlicher. Er hat die Leute weggeschoben und mich gesehen. Wie er  mich da entdeckt hat? Gott weiß das nur.

Er hat die Leute weggeschoben und gesagt: „Was sitzt  du da?“

„Weil – ich kann nicht stehen“ habe ich ihm gesagt.

Dann ist er verschwunden, und hat mir dann ein Glas Tee gebracht.

„Ein Glas heißen Tee!“ betont Edith dreimal. „Ich habe drei Jahre kein Glas in der Hand gehabt. Ich habe den Tee getrunken, dann ging er, kam zurück und brachte mir zwei Schnitten Brot.- Große Schnitten polnisches Brot! Mit Käse und Butter.“

Dann hat er gesagt: Du willst nach Krakau? Ich auch. Steh auf. Wir müssen gehen.

Er hat mich aufgehoben, aber ich bin wieder zurückgefallen. Meine Beine haben versagt. – Da hat er mich vier bis fünf Kilometer auf seinem Rücken getragen.“

Ich habe mich gefragt: „Was will dieser Mensch gerade von mir, klein, schmutzig, verlaust? Was will er von mir? Aber er war so rührend, darum bin ich mitgegangen.“

Edith ist gerettet. Von ihrem Retter aber weiß sie nur, dass er ein polnischer Priester ist mit Namen Karol Woytila.

55 Jahre später- im Jahr 2000- kam es zu einem bewegenden Wiedersehen der beiden in Israel: Edith Zierer und Karol Woytila , nunmehr  Papst Johannes Paul II.

Am24. April 2014 wurde Johannes Paul  II – zusammen mit Papst Johannes XXIII heiliggesprochen.

Wieder einmal hatte sich der Auftrag Jesu erfüllt:

Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch.

Und nun will ich in einem 3. Teil einen Bogen schlagen von Jesus

in unsere heutige Zeit.

Jesus und Lepra  /  Corona und wir. Beides furchteinflößende und

schlimme Krankheiten. Woher sie kommen? Wir wissen es nicht. Wie

geht es weiter?  Wir wissen es auch nicht. Für Lepra gibt es hilfreiche

Medikamente. Für Corona gibt es – noch – kein ausreichend erprobtes

Medikament.  Für Leprakranke zur Zeit Jesu gab es den absoluten

Lockdown, also eine absolute Ausgangssperre.

In Coronazeiten gibt es für Deutschland in den verschiedenen Ländern

im Moment unterschiedliche Lösungen. Für die Schulen, für den

öffentlichen Raum. Es gibt Maskenpflicht einerseits und Empfehlungen

andererseits. Es gibt Menschen, die fordern absolute Sicherheit ein,

andere wollen mehr Lockerungen.

Der Münchner evangelische Regionalbischof Christian Kopp bekommt

Post von Gemeindegliedern, die die Maßnahmen, die für die Kirchen

getroffen wurden, als zu rigoros empfinden. In die Kirche traut sich

niemand, schrieb ihm ein Gemeindeglied, zu Edeka schon.

Mittlerweile lenkt die Staatsregierung ein: In der Kirche darf die Maske

abgenommen werden, die 60- Minuten- Beschränkung für Gottesdienste

ist aufgehoben, der Mindestabstand zwischen den Gottesdienst-

teilnehmern  von 2 m auf 1,50 m verringert.

Im Gespräch mit Ärzten höre ich einerseits, dass es ganz wichtig sei,

Abstand zu halten, und andererseits, dass die Menschen von der

Regierung mit ihren Verordnungen glattweg „ver……“ würden, insofern

die von Staats wegen verordneten Maßnahmen in keiner unmittelbaren

Relation zum Auftreten des Virus stehen.

In der Tat: Noch viele offene Fragen, viel Unsicherheit, wie damit

umgehen. Wir haben Vermutungen, vieles wissen wir nicht.

In diese Situation  hinein wäre es nun hoch interessant zu erfahren, wie

Jesus sich heute verhalten würde: Jesus und Covid 19.

Um es vorweg zu sagen: Auch das können wir nicht wissen.

Aber das wissen wir, von den drei Evangelisten Markus, Matthäus und

Lukas bezeugt:

Jesus hat sich nicht von dem an Lepra Erkrankten abgewandt. Nicht

2 m Distanz eingefordert, auch keine 1,50 m. Hat keinen Mundschutz

gebraucht. Hat ihn nicht gefragt nach der Leprarassel und nach

Leprakleidung. Hat ihn nicht von sich gewiesen oder in die Isolation in

einen Lepraturm gejagt. Für Jesus ist „soziale Distanz“ ein Fremdwort.

Er durchbricht vielmehr die vorgeschriebene Isolation, geht über

Sanktionen und Verbote hinweg, riskiert den ganz privaten und zivilen

Ungehorsam. Er hatte Mitleid mit ihm, der sich in seiner Not vor ihm auf

die Knie warf, und streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn – mit

den Worten: Sei gesund, werde rein. Da schwand der Aussatz und er

wurde gesund.

Welch ein Unterschied: Jesus damals – und wir heute.

Ja, ich denke schon, dass wir von ihm Wesentliches abschauen könnten

für den Umgang miteinander in schwierigen Situationen:

Die in den Regierungen, die Kirchen, und wir ganz persönlich.

Was für ein tiefes Vertrauen, dass Unmögliches möglich werden kann.

Das Wort Jesu jedenfalls steht weiter im Raum: Wie mich der Vater

gesendet hat, so sende ich euch.

Amen, so soll es sein.

Ludwig Scherer, Pfarrer i.R.

Gottesdienst in der Friedenskirche Dachau

Sonntag, 6.September 2020