Liebe Gemeinde,
es ist auch in Corona-Zeiten kein großes Risiko, dem ich mich aussetze, wenn ich mich hier hinstelle und eine Predigt halte. Da ist zum einen der geschützte Raum unseres Kirchengebäudes, wo ich weder einen Platzregen noch einen Sonnenbrand befürchten muss. Dann sind vor mir größtenteils wohlgesonnene Menschen, die anders als in der Schule oder auf der Arbeit ganz freiwillig heute Morgen hierhergekommen sind und in der Regel konzentriert und aufmerksam am Gottesdienst teilnehmen. Ich muss weder befürchten mit Tomaten zu beworfen zu werden noch einen Shitstorm auszulösen, das ist einfach nicht unsere Kultur heute. Auch laute Puh-Rufe habe ich im Gottesdienst noch nie erlebt, obwohl ich schon Situationen in Kirchen erlebt habe, wo das vielleicht sogar angebracht gewesen wäre.
Es ist oft nicht ganz einfach einen teils über 2000 Jahre alten Text mit dem heutigen Leben in eine halbwegs brauchbare Verbindung zu bringen, aber ich habe das ja selbst so gewählt. Insofern wäre es vermessen mich an dieser Stelle über meinen Beruf zu beschweren. Sicherlich, es gibt besser bezahlte und auch einfachere Berufe, aber wie gesagt, das könnte ich ja jederzeit ändern, wenn ich wolle.
Nach über 100 Stunden Zeltlager-Programm in der letzten Woche bin ich heute völlig platt. Sollte ich heute nur wirres Zeug reden oder diesmal nicht die Zuhörer, sondern der Prediger während der Predigt einschlafen, dann nehmen sie es mir bitte nicht übel. Dennoch leide ich nicht unter meinem so, wie der Prediger, von dem heute die Rede ist.
Die Rede ist von Jeremia. Er ist einer der großen Propheten des Alten Testaments und als er zum Propheten berufen wurde, da lehnte er zunächst ab und versuchte sich herauszureden. Aber offenbar hatte Gott einfach die besseren Argumente oder vielleicht auch Druckmittel und so nahm sein Schicksal seinen Lauf.
Heute hören wir von seiner Berufung aus dem 1. Kapitel des Jeremiabuches:
4 Des HERRN Wort geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Lasst uns in der Stille um den Segen des Wortes Gottes bitten.
Liebe Gemeinde,
„Des HERRN Wort geschah zu mir“. So beginnt die Geschichte des Propheten Jeremia. Oder zumindest der Teil der Geschichte, der uns überliefert ist. Scheinbar völlig unvermittelt wird Jeremia zum Propheten berufen. Wir erfahren leider nicht, wie es dazu gekommen ist. Wir wissen nur, was daraus geworden ist. Jeremia wurde vielleicht gleich nach Hiob zur bemitleidenswertesten Gestalt des Alten Testaments. Denn obwohl Jeremia ein Prophet Gottes war, und die Ehre hatte Gottes Botschaft zu verkündigen, brachte ihm persönlich das nur Unglück. Jeremia wurde ausgelacht, verspottet und geschlagen. Seine eigene Familie feindete ihn an, er wurde ins Gefängnis geworfen und musste Mordversuche über sich ergehen lassen. Er litt so sehr unter seiner Berufung zum Propheten, dass er sich am liebsten selbst das Leben genommen hätte.
Viele Propheten stießen bei ihrem Auftrag Gottes Wort zu verkünden auf große Schwierigkeiten. Jeremia aber erfuhr nicht nur Ablehnung, er blutete an Leib und Seele.
Das alles ist noch ferne Zukunft, als Jeremia den Ruf Gottes hört, als des HERRN Wort an ihm geschah. Um etwas sagen zu können, musste er erst einmal hinhören. Das was er hört, klingt heute noch unglaublich: Noch bevor du von deiner Mutter geboren warst, bevor du überhaupt entstanden bist, hat Gott dich gekannt, bevor irgendein Mensch an dich gedacht hat, wusste Gott: Dieser Jeremia, noch nicht gezeugt, soll mein Prophet für die Völker sein.
Wie alt war Jeremia wohl, als er diese Worte hört? Wir wissen es nicht genau. Vielleicht war er erst so alt wie unsere Konfis? Er fühlt sich jedenfalls: zu jung und überhaupt nicht geeignet.
Welche Träume mag der junge Jeremia für sein Leben gehabt haben? Vermutlich wollte er Priester werden wie seine Vorfahren? Vielleicht wollte er wie so viele ein ruhiges und beschauliches Leben führen?
Wir erfahren nichts darüber. Nur, dass er sich gegen Gottes Plan wehrt: Ich kann das gar nicht, was du mit mir vorhast, Gott! Das passt nicht zu mir!
Gott lässt Jeremias Einwand nicht gelten. Bei Gott gibt es kein zu alt oder zu jung. Denn vor Gott ist nicht entscheidend, was wir von uns denken, sondern was Gott in uns sieht.
Predigen soll und wird Jeremia und das ganz ohne Theologiestudium ohne Vikariat ohne irgendeine Ausbildung. Kein Wunder, dass Jeremia sich fürchtet.
Immerhin macht Gott Jeremia Mut und verspricht ihm: „Ich bin bei dir und ich werde dich erretten.“ Und dann heißt es, dass Gott seine Worte in Jeremias Mund legt. Das ist ein tolles Bild. Jeremia soll nur das Sprachrohr Gottes sein. Er soll Gott seinen Mund leihen. Für die Worte wird Gott sorgen. So verrückt das klingt, manchmal erleben Redner wie Pfarrerinnen und Pfarrer das auch. Da habe ich mir Gedanken gemacht und dann predige ich auf der Kanzel ganz anders als gedacht.
Es kommt aber noch verrückter: Gott sagt zu Jeremia: du sollst ausreißen und einreißen, zerstören und verderben und bauen und pflanzen.
Wem würde nicht mulmig werden bei diesem Auftrag: zerstören, ausreißen, verderben? Vieles lief damals verkehrt, das muss raus, muss verschwinden. Jeremia kritisierte vor allem das Verhältnis Israels zu seinem Gott. Das Volk wiegte sich in falschen Sicherheiten, lief anderen Göttern hinterher, taktierte lieber politisch, als dass es auf Gottes Wort hörte. All das beklagte Jeremia und kündigte das Strafgericht Gottes an.
Doch Zerstörung ist für Jeremia nur der halbe Auftrag. Er soll auch noch pflanzen und bauen. Das bleibt in all den Wirren und Schrecken der Zeit Jeremias der große Trost: Gott gibt sein Volk nicht verloren. Auch wenn ein Großteil nach Babel verschleppt wird, ist das noch nicht das Ende. Nach der Katastrophe wird Gott einen neuen Anfang machen. Dort, wo Zerstörung herrscht, soll neu gepflanzt und gebaut werden.
Liebe Gemeinde,
Jeremia soll zerstören und ganz neu aufbauen allein durch das Wort Gottes. Werden da unsere Worte nicht ein bisschen zu wichtig genommen? Oder haben Menschen allein durch ihre Worte so eine gewaltige Wirkung?
Ich befürchte es ist tatsächlich so. Allein mit Worten können Menschen einander zerstören und aufbauen. Egal wo wir berufen sind, ob als Großvater oder als Nachbar, als Kunde beim Einkaufen oder als Jugendleiter beim Zeltlager. Schnell hat man ganz unbedacht für den anderen den ganzen Tag versaut, manchmal sogar das ganze Leben. Sogar gut gemeinte Worte, die nicht recht bedacht sind, können manchmal wie blanker Hohn wirken.
Worte haben ohne Zweifel eine gewaltige Macht und können regelrecht gewaltvoll sein. Auch das Wort Gottes macht da keine Ausnahme. Wir können vielleicht nicht von uns sagen: Des HERRN Wort geschah an uns. Und doch sind wir alle mit Jeremia berufen
Martin Luther hat das so formuliert: wo immer du auch bist, wo immer du arbeitest, dort sollst du Christus bezeugen.
Und auch da gibt es keine Ausrede, kein ich bin zu jung oder zu alt oder ich kann das nicht. Für Gott spielt es keine Rolle, was wir von uns denken. Wichtig ist nur, was er von uns denkt.
Welche Aufgaben auch immer auf uns heute oder in der kommenden Woche warten, wir alle sind dabei mit Jeremia getragen vom Zuspruch Gottes: „Fürchte dich nicht vor dem, was auf dich zukommt. Ich bin bei dir.“
Gott hat weder uns noch Jeremia versprochen uns vor Leid zu verschonen. Immer wieder werden wir von Worten getroffen, tief verletzt und gedemütigt. Gleichzeitig könnten auch unsere Worte so eine Wirkung haben. Wir müssen dennoch nicht wie Schweigemönche ganz still werden. Wir können immer wieder auf das Wort Gottes hören. Hier und auch sonst geht es letztlich darum einander aufzubauen und zu stärken. Auch heute noch will das Wort Gottes uns so ansprechen. Nein, das will es nicht nur, es geschieht hier und jetzt an uns: „Fürchte dich nicht vor dem, was auf dich zukommt. Ich bin bei dir.“ Und so können wir zuversichtlich und mutig angehen, was auch immer auf uns zukommt. Amen