Als die evang. Kirche von Bad Tölz 1880 eingeweiht wurde, war sie noch viel kleiner. Wir würden heute unsere Kirche wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Auch das zentrale Altarbild war damals noch nicht vorhanden. Stattdessen hing in der halbrunden Apsis hinter dem Altar ein Bild des Brot brechenden Christus.
1898 malte Lovis Corinth die Kreuzigung Jesu. Kreuzigungsbilder gibt es gefühlt wie Sand am Meer, denn lange Zeit malten Künstler neben dem Adel fast ausschließlich für die Kirche: biblischen Szenen, Heilige und v.a. die Kreuzigung.
Auch Lovis Corinth malte eine Kreuzigung. Nicht nur eine! Sein Bild der „rote Christus“ ist ganz anders, und voller Blutspritzer. Vielleicht spürte er, dass kein Bild die Wirklichkeit ganz darstellen kann. Corinth malte noch viel mehr als Kreuzigungsbilder. Corinth lebte in einer Zeit, als für die Künstler alles möglich geworden war. Und so malte er auch alles: biblische Bilder, Portraits, den wunderschönen Walchensee, Aktbilder, Stillleben und Alltagszenen wie Schlachthofszenen. Alles hatte für ihn einen Reiz und einen Wert festgehalten zu werden.
Viele Jahre hatte der studierte Künstler Corinth keinen Erfolg. Erst in seiner Lebensmitte gelang es ihm mit dem Bild Kreuzabnahme ein Bild zu verkaufen. Wenige Jahre später malte Corinth die Kreuzigung, das Altarbild unserer Kirche. Der Fabrikant Ernst Heckert aus Kochel kaufte es und schenkte es unserer Gemeinde. Warum er das tat, wissen wir leider nicht. Während das Bild heute im scharfen Kontrast zum hellen Kirchenraum steht, war es einstmals konzeptionell als Einheit in den Kirchenbau integriert.
Im Alter baute seine Frau Charlotte für Lovis ein Haus am Walchensee. Es wurde zum Rückzugsort des Künstlers. Damals ging es am Walchensee noch ruhig und beschaulich zu. Nun wurde Corinth zum Landschaftsmaler. Mit seinen Landschaftsbildern hatte er seinen größten Erfolg. 1925 verstarb Corinth auf einer Reise in Holland. Er wurde in Berlin beigesetzt.
Somit erlebt Corinth nicht mehr, wie seine Kunst von den Nazis als entartet verunglimpft wurde. Dabei war er durchaus ein patriotischer Maler. Sein Frühwerk entsprach den Idealvorstellungen der Nationalsozialisten. Aber seine späteren, teils expressionistischen Werke, wurden als entartet bezeichnet.
Zu Lebzeiten verdammte Corinth selbst andere Kunststile. Er begrüßte den 1. Weltkrieg als Chance eines Neubeginns, in dem auch die deutsche Kunst zeigen konnte, dass sie die international bedeutsamste sei. „Wir“, sagte Corinth, „wollen der Welt zeigen, dass heute deutsche Kunst an der Spitze der Welt marschiert. Fort mit der gallisch-slawischen Nachäfferei unserer letzten Malerperiode!“
Aber Corinth wusste um seine Fehlbarkeit. Auf seiner „Kreuzigung“ malte er sich selbst ans Kreuz rechts. Er hätte sein Gesicht ebenso gut dem Jünger Johannes oder gar an Christus vergeben können. Stattdessen gab er einem der Verbrecher am Kreuz sein Gesicht und schlüpft in die Rolle des Sünders, des Leidendens, des Vergebung bedürftigen Menschen. Vielleicht ein Zeichen der Buße.
In diesem Jahr jährt sich der Todestag von Corinth zum 100. Mal. Wir gedenken einem überaus vielseitigen Künstler, der viel mehr ist als nur der Maler unseres Altarbildes.
Ein Maler, der angeblich erst über sein Werk einen religiösen Bezug entwickelte, nicht zuletzt über die „Kreuzigung“. Immer wieder wird in diesem eher düsteren Bild das kleine weiße Dreieck zwischen Jesus und Maria als Hoffnungszeichen gesehen. Während sich über den Köpfen noch dunkle Wolken stauen, wird es am Horizont wieder hell! Aber noch viel interessanter ist das Selbstportrait des Malers an der Seite von Jesus als Mitgekreuzigten. Wir können Lovis Corinth nicht mehr fragen, was er damit wirklich ausdrücken wollte. Aber wir können es uns gut denken. Und wir können uns mit ihm einreihen in die Passion in Demut und mit Hoffnung auf eines der letzten Worte des Gekreuzigten an sein Gegenüber: du wirst mit mir im Paradies sein.